Zuckerleben: Roman (German Edition)
einfach ist das.«
Der Held der sozialistischen Arbeit muss herzhaft lachen und klopft Tutunaru auf die Schulter.
»Dann kann ich dich beruhigen, Junge.«
»Wie meinst du das?«
»Zufällig kenne ich einen Spezialisten auf dem Gebiet. Er ist ein erstklassiger Fachmann in Sachen Samagon-Zubereitung. Ein Mann mit langjähriger Produktionserfahrung, dazu hochmotiviert und absolut vertrauenswürdig.«
»Ach wirklich?«
Wladimir Pawlowitsch räuspert sich kurz, holt ein Stofftuch aus seiner Hosentasche, säubert sich damit das Gesicht, steckt es wieder ein, tippt mit dem rechten Zeigefinger auf den glänzenden Stern des Helden der sozialistischen Arbeit seines aus einem polnischen Nomenklaturaladen importierten zerrissenen Nadelstreifanzugs und sagt:
»Er steht vor dir!«
Tutunaru reagiert nicht.
Stille.
Der Dondușenier Spekulant grübelt. Er schielt abwechselnd zwischen der Destillierblase und dem Rentner hin und her.
»Und was willst du dafür?«
»Wir machen 50 : 50. Und ich darf in Hlebniks Nomenklatura-Bungalow bei freier Kost und Logis einkehren, als unsichtbarer Teil meines Gehalts sozusagen.«
»Mal angenommen, ich sage zu. Was passiert als Nächstes?«
Ilytschs Antwort kommt wie aus der Kanone geschossen:
»Wir setzen Hlebniks Werk fort, stellen Opium fürs Volk her und katapultieren uns mit eigener Kraft aus der Krise.«
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Ich braue, du verkaufst. Ich habe die nötigen Kenntnisse, du weißt, wie man das Produkt an den Mann bringt. Das ist eine gewinnbringende Situation für uns beide. Ein Katapult in eine bessere Zukunft. Mit deinem Anteil am gemeinsamen Gewinn finanzierst du deine Abreise nach Italien. Und wenn du nach Italien weg bist, dann übernehme ich hier das Ganze.«
»Was meinst du mit: Dann übernehme ich hier das Ganze?«
»Ganz einfach: Ich mache hier in der Zuckerfabrik ein schönes sozialistisches Schnapswerk auf!«
»Ein SCHNAPSWERK ?«
»Ja, du weißt ja: ›Sozialismus ohne Alkohol ist wie Kapitalismus ohne Werbung.‹«
»Ich glaube, dir hat die Bremsflüssigkeit nicht gutgetan.«
»Ich eigne mich sehr gut für eine verantwortungsvolle Führungsposition in einem Kollektiv. Ich werde das Schnapswerk als Direktor leiten. Das wird mein persönliches Großprojekt!« Dabei legt der Held der sozialistischen Arbeit die Betonung auf die Funktion »Direktor«. Der Held der sozialistischen Arbeit gibt dem jungen Spekulanten ein wenig Bedenkzeit. Und dann setzt er gleich nach:
»Was sagst du dazu, Pitirim, Hand drauf?«
Pitirim Tutunaru ist äußerst skeptisch, weil er weiß: Der durchschnittliche Sowjetbürger lügt, wenn es die Situation erfordert, mit großer Leichtigkeit jeden an – seine Kollegen, seine Vorgesetzten, seine Untergebenen, auch Kinder, Frau und Nachbarn, wenn es denn sein muss. Ilytsch ist da keine Ausnahme, er ist wie jeder gemeine Sowjetmensch fähig, Dinge zu sagen, zu denken und zu tun, die nichts miteinander zu tun haben. Und deswegen antwortet Pitirim Tutunaru das einzig Richtige:
»Opa, du kannst einen 40-Kilo-Sack Zucker haben und noch zwei Stangen Doktorenwurst dazu. Unsere Wege trennen sich hier und jetzt.«
Wladimir Pawlowitsch überkommt das schmerzliche Gefühl, nicht gebraucht zu werden und überflüssig zu sein; wie vorhin in der Zuckerfabrik auch, als die Leute, die sich ihm wenige Stunden zuvor mit Begeisterung angeschlossen hatten, ihn zusammenschlugen und wie ein kaputtes Werkzeug alleine zurückließen, als sie merkten, dass er nicht wusste, wo Hlebnik seine 40 Tonnen Zucker versteckt hielt. Für den Jungen empfindet Ilytsch jedoch auch eine Mischung aus Dankbarkeit und Schuldgefühl. Dankbarkeit, weil Pitirim ihm sicherlich das Leben gerettet hätte, wenn der Strick nicht gerissen wäre, und Schuldgefühl, weil er nicht verhindern konnte, dass der Mob auch ihn bei der Erstürmung der Zuckerfabrik zusammenschlug.
»Behalte deinen Zucker, Junge. Wenn du glaubst, ich will dir was Böses antun, liegst du falsch«, sagt der Held der sozialistischen Arbeit und macht sich hinkend auf den Weg nach draußen.
Pitirim schaut Ilytsch hinterher und spürt, wie in ihm ein Gefühl von unendlicher Traurigkeit aufsteigt, weil er Wladimir Pawlowitsch soeben verstoßen hat wie einen alten Sack. Diese Bitterkeit breitet sich immer mehr in seinem Inneren aus, und auch die rügende Stimme seines Gewissen fängt an, den jungen Moldawier zu plagen, als wollte sie, von Engelchören begleitet, mahnen: Wie kannst du
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