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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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Benzinkanister aus den Händen.
    Ein Gefühl von Traurigkeit überkommt Tolyan Andreewitsch ob dieses makabren Schauspiels, dessen unfreiwilliger Zeuge er geworden ist. Er inhaliert den balsamischen Geruch von Weihrauch, als er beobachtet, wie ein brennender Arm vom Scheiterhaufen auf das feuchte Gras hinunterpurzelt. Es zischt. Eine kleine Dampfwolke steigt zum Himmel hinauf. Der bärtige Mann mit dem Weihrauchfass gibt seinem »Kosovo = Srbija«-Kollegen eine Schnellanweisung auf Serbisch, und jener demoliert mit seinem Baschmak der Größe 47 eine auf dem Boden liegende Reserve-Europalette und entreißt ihr zwei Holzbretter, aus denen drei glänzende 100er-Nägel herausragen, packt mit ihnen präzise den qualmenden Arm des kremierten Bürgers und wirft ihn wieder auf den Scheiterhaufen zurück. Mit der Wendigkeit eines Menschen, der diesen Handgriff nicht zum ersten Mal ausführt. Die Frau, die mit dem Benzinkanister hantiert hat, bricht in Tränen aus. Und schluchzt. Und dreht sich vom Feuer weg zu Tolyan Andreewitsch. Der Moldawier erkennt sie wieder – es ist Francesca, die Rezeptionistin. Monica nimmt ihre Mitarbeiterin in den Arm und redet beruhigend auf sie ein. Francesca jedoch weint weiter, hysterischer noch als am Anfang. Die Hotelbesitzerin des »Dolce della Luna« nimmt Francescas Gesicht in die Hände, drückt ihr einen Kuss auf die Wange, sieht sie liebevoll an und klatscht ihrer Mitarbeiterin eine leichte Watsche ins Gesicht. Francescas Geheule hört augenblicklich auf, die Rezeptionistin entschuldigt sich sogar bei ihrer Chefin.
    Und da fällt es dem Moldawier wie Schuppen von den Augen: Der Pope und sein Helfer! Es sind die zwei Serben, von denen Cristina gesprochen hat, denkt sich der Moldawier triumphierend. Pippo Calabreses Beerdigung … Und lächelt, ein Goldzahn blitzt hervor. Doch sein Lächeln erkaltet umgehend, als er seine georgische Teedose in Monicas Händen erblickt.
    04:00
    »Georgischer Tee. Georgischer Tee! «, sagt Cristina völlig unerwartet. »Wer trinkt denn so was? Hast du schon mal was von georgischem Tee gehört? Oder von Georgien ? Georgien. Gab’s da nicht Krieg vor ein paar Jahren? Aber abgesehen davon, findest du es nicht komisch, dass der Typ wegen einer Packung Tee so ein Theater macht? Überleg doch mal. Der Moldawier ist durch Italien unterwegs. Irgendwas, irgend etwas Wichtiges , hat ihn in die Abruzzen verschlagen. Und das ist kaum das Gran-Sasso-Gebirge, er sieht nicht gerade aus wie jemand, der in seiner Freizeit darauf brennen würde, übers Wochenende im Campo Imperatore wandern zu gehen … Und dann. Dann bemerkt der Moldawier das Fehlen seines Tees und macht sofort kehrt, bloß um diese Packung georgischen Tees abzuholen, die er hier im ›Dolce della Luna‹ vergessen hat. Würdest du so was tun? Also ich. Ich würde das für keinen Tee der Welt machen! In der Nacht durch diese Gegend zu fahren ist kein Zuckerschlecken, noch dazu wie der Moldawier gefahren ist … Ich sage dir, Angelo: Der georgische Tee ist der Grund seiner Anwesenheit hier in den Abruzzen, wenn nicht vielleicht gar seiner Anwesenheit in Italien. Das bedeutet, dass in dieser Teedose etwas sehr Wertvolles versteckt sein muss. Etwas anderes als georgischer Tee. Er versteckt da was, capisci ? Etwas, was wenig wiegt und kostbar ist – Crystal Meth zum Beispiel. Oder Heroin. Oder geschmuggelte Diamanten. Ich meine, was wissen wir schon von diesem Fremden? Er hat in seiner Geldbörse über acht Riesen gehabt. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Einer, der so viel Geld mit sich trägt, hat in Wirklichkeit viel mehr. Und woher, frag ich dich? Vielleicht ist er nach Apulien unterwegs, um einem ungeduldigen Capo der Sacra Corona Unita die Diamanten zu überbringen. Oder Kalabrien. Vielleicht ist er Kurier der Camorra, wenn nicht einer kalabrischen Verzweigung irgendeines osteuropäischen Verbrecherklans. Ja, es müssen Diamanten im georgischen Tee sein. Und weißt du, was noch auffällig ist? Die Krise. Sie lässt ihn absolut kalt. Das heißt, dass er seine Schäfchen ins Trockene gebracht haben muss, finanziell. Und noch etwas: Als ich von Pippo Calabreses Tod erzählt habe, blieb der Moldawier ganz ruhig. Ich meine, wen lässt der Tod derart kalt? Nur jemanden, der den Tod kennt. Jemanden, der den Tod gut kennt – einen Killer zum Beispiel. Ein Killer. Fragt sich nur, warum er sich die Mühe gemacht hat, uns mitzunehmen. Vielleicht zur Tarnung. Zwei verwirrte Halbwüchsige zur Tarnung für

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