Zuckerleben: Roman (German Edition)
Lega-Nord-Bänker-Fettärsche jahrzehntelang bezahlen müssen? Von meinem Lohn aus einem schlecht bezahlten befristeten Job? Nein, danke. Ich will nicht dieser Berlusconi-Gesellschaft dienen. Ich nicht! Ich steige aus! Ich wollte glücklich sein. Mit dir . Aber da das nicht geht. Da du nicht willst. Wegen diesem maledetto Rocco. Ich könnte Mut finden, ein neues Leben anzufangen, aber ohne dich, Cristina, hat das für mich keinen Sinn. Wozu? Nur um physisch zu existieren, dahinzuvegetieren, körperlich, ohne wirklich bei dem Menschen sein zu können, der mir alles bedeutet? Ohne dich ?«
Das Mädchen stellt fest, dass sich der Griff des Jungen um die Pistole gelockert hat, und drückt sanft auf den vom Zeigefinger Angelos umklammerten Abzug. Und schließt die Augen. Da reißt der Junge jedoch seine rechte Hand aus dem Griff des Mädchens. Die Hand zittert. Die geladene Beretta zittert mit ihr mit. Der italienische Schüler hebt die Pistole sehr langsam, als wäre sie aus Blei, und setzt die Mündung der Beretta an seine rechte Schläfe. Dabei sieht er Cristina direkt in die Augen. Dort kann er jedoch nichts erkennen, was darauf hinweisen würde, dass das Mädchen von seiner Todessehnsucht abgekommen wäre. Nach all den Bemühungen seit ihrem gemeinsamen Aufbruch aus Termoli und ihren Irrwegen durch die Abruzzen, Cristina umzustimmen, sie von ihrem Selbstmordwunsch abzubringen und es doch lieber noch einmal zu versuchen, muss sich Angelo nun eingestehen, dass es keinen Zweck mehr hat. Und je mehr der letzte Funke Hoffnung in ihm schwindet, umso mehr freundet sich der Junge mit dem befremdlichen Gedanken an, sich und das Mädchen endgültig aufzugeben. Finita la commedia …
Eine Träne rollt zögerlich seine Wange hinunter und tropft in die Badewanne.
Das Mädchen weint nicht. Es küsst den Jungen behutsam auf den Mund und sagt leise, voller Sanftmut: »Lass es uns zusammen machen.«
04:32
Der benzinbeschleunigte Leichenbrand hat sich beruhigt. Von Dejan Calabrese ist nicht mehr viel übrig. Wladyka Borimirović psalmodiert das Lob des jüngst konvertierten Krisenopfers, dreht kleine Runden um dessen kremierten Körper und schwenkt dabei regelmäßig sein Weihrauchfass, als würde er gezielt unsichtbare Koordinaten im nächtlichen Himmel des NATO -Staates anpeilen. Dabei murmelt der serbische Kirchenvater ständig etwas in seinen Bart hinein, mal laut, mal leise, mal geflüstert und mal gesungen in Reimen.
Die Bewegungen des Wladykas sind stets präzise, erhaben und erwecken den Anschein, als hätten sie genau so und nur in dieser Reihenfolge zu erfolgen und auf keinen Fall anders. Ab und zu bringt sich Wladykas Assistent Dušan mit Qi-Gong-artigen Bewegungen harmonisch in die Zeremonie ein, nimmt dem Kirchenvater mal das Epitrachelion ab, nimmt mit einem gezielten Griff das Weihrauchfass entgegen oder stimmt in einen Gesang organisch mit ein, ohne je Wladyka Borimirović bei seinem Tun zu behindern.
Etwas abseits platziert beobachten die zwei EU -Bürgerinnen Monica di Garozzo sowie ihre Freundin und Mitarbeiterin Francesca Lombardo mit zwei brennenden Kerzen in der Hand das Geschehen und tuscheln.
»Ist das eigentlich keine Sünde, Monica?«
Monica rollt mit den Augen.
»Monica, ist das keine Sünde?«
»Wir haben im Moment keine andere Wahl.«
Kurze Pause.
»Man hat immer eine Wahl, Monica. Du hättest mit Padre Motadonna nicht so schroff umgehen dürfen! Er hätte sich bestimmt umstimmen lassen. Immerhin ist er ein Mann Gottes.«
»Ja, sein Stellvertreter auf Erden, um genau zu sein.«
»Wie bitte?«
Monica beugt sich näher zu Francesca und flüstert der Rezeptionistin zu:
»Warum ist es so schwer zu verstehen? Wo soll ich jetzt im Hochsommer mit einer ledigen Leiche hin, die keiner vermisst und die keiner haben will? Ich möchte keinen Toten im hoteleigenen Kühlraum lagern, bis irgendwann irgendeiner ihn abholen kommt. Ich meine, jetzt mit der Krise, wo ein Liter Diesel 1,50 Euro kostet und sogar die Polizei ihren Sprit spart … das ist ja schon fast wie in so einem Buch von Silone. Und was sollte ich denn tun? Ihn vergraben? Das konnte ich nicht machen, ohne dem Mann wenigstens ein christliches Begräbnis zu gewähren. Und die Alternative wäre der Kühlraum gewesen, was eigentlich gar keine Alternative ist. Denk mal an das Lebensmittelgesetz – wenn jemand bei der Lebensmittelbehörde davon Wind bekommt, dass wir hier Leichen horten, können wir das Hotel gleich schließen. Und was
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