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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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Holztisch gegenüber, ohne den Blick von der Platte mit gepökeltem Speck zu nehmen. Und dann greift der moldawische Gynäkologe zu. Unerwartet. Effizient. Und mit einer für seinen Körperindex außergwöhnlichen Gelenkigkeit. Und verschlingt zwei Speckstückchen samt Schwarte, ohne sein Gebiss unnötig mit Kauen zu verschleißen, sofort. Dann wirft der Mediziner einen Blick in die Runde, als ob nichts gewesen wäre, und schenkt sich ganz grazil etwas mehr vom Chișinăuer Frischbier in seinen gekühlten Steinkrug ein. Der Chefarzt nippt daran, und aus den Augenwinkeln nimmt er davon Notiz, dass ihn jemand mit offenem Mund vom anderen Ende des Tisches anstarrt.
    »Fjodor, was glotzt du mich an wie eine beschädigte vaginalsonografische Wachstumskurve? Ich habe seit dem Morgenstromausfall nichts zwischen die Rippen bekommen. Also verschon mich bitte damit«, sagt der Gynäkologe und konzentriert sich innerlich ganz auf die Gerüchte rund um die Zuckerfabrik, die über dem Tisch wie aufgescheuchte Fledermäuse hin und her schwirren. Einzig und allein Zhurkow sitzt schweigend da, auch mit nacktem Oberkörper, ein Blümchenhandtuch um die Hüften gespannt, als würde ihn das alles nichts angehen, und kaut an einer Salzgurke, gelassen wie ein Stoiker. 
Der bereits stark angeheiterte Banja-Besucher mit dem importierten Tiroler Almhut aus weichem, formbarem Filz sagt lächelnd, den Blick auf die Tischplatte gerichtet:
    »Wenjaminowitsch, wenn ich ehrlich, also ich meine wirklich ehrlich , sein soll, also … Dann muss ich sagen … dachte ich nicht, dass sie dir den Oberst geben würden.«
    »Ach was, hast du nicht geglaubt. Ja?«
    »Nein. Nachdem … Gleich nach der UNIVERSAM -Schuhlieferung, die auch alles andere als glatt über die Bühne gelaufen ist, die rayonale Zuckerfabrik der Stadt einfach so von diesen Verrückten eingenommen und verwüstet wurde … Ich meine, du hast doch versprochen, Sergej Wenjaminowitsch, die Vertretung der Staatsmacht zu sein. Und. Und für Ordnung. Ordnung! In der Stadt. Zu sorgen. Und dieses. Versprechen. Hast du … nicht … erfüllt.«
    Am Tisch wird gekichert. Und getuschelt.
    Und der Urheber dieser Worte grinst lausbübisch, die Gesichter seiner Kollegen in der Runde musternd. Der Tiroler Almhut aus weichem, formbarem Filz behält recht: Die Anwesenden können sich ein Schmunzeln und ein gedämpftes Lachen ob seiner Bemerkung einfach nicht verkneifen. Hier und da wagt einer von ihnen einen verstohlenen Blick Richtung Zhurkow zu werfen, ohne dies allzu offensichtlich zu tun; nur ein Bürger zeigt keinerlei Reaktion hierauf und verhält sich ruhig: der pummelige Chefarzt der gynäkologischen Abteilung der Dondușenier Rayonalen Poliklinik Nr.   1, der gelassen seinen Steinkrug zum Mund führt und sich sonst nichts anmerken lässt.
    Die Luft ist schwer geworden im Holzklump, dem Tagungsort der Schwarzhändlergilde von Dondușeni. Und selbst hier in der Erholungsstube der Holzklump-eigenen Banja ist sie schwer, schwül, und der Schweiß schimmert schmierig auf der Haut der Gildenmitglieder. Auch der 46-jährige Sergej Wenjaminowitsch Zhurkow schwitzt. Schweißtropfen gleiten über seine Stirn, Augenbrauen, Wangenknochen, über sein frisch rasiertes Gesicht, den einst athletischen, doch auch jetzt sichtlich trainierten Oberkörper hinunter. Er ignoriert sie, leidet aber darunter. Von der schwülen schweren Luft unbetroffen scheinen lediglich Zhurkows dunkelblonde Haare zu sein.
    Zhurkow schweigt, beäugt den Träger des Tiroler Almhuts forschend und ripostiert alsdann:
    »Sag, Mihailytsch. Stehst du mehr auf diese seitlich verschnürbaren Mieder-Negligés mit den zarten Spitzen, dem tiefen Ausschnitt und den fingerlangen Fransen oder doch eher auf schlichte weiße trägerlose BH s?«
    »Wie bitte?«
    »Du weißt doch. Diese Büstenhalter. Von denen gibt es solche, wo man die Träger wahlweise vorne oder hinten kreuzen kann. Und es gibt aber auch solche BH s, die man ganz ohne Träger tragen kann.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Wenjaminytsch.«
    »Also pass auf, ich werde es extra für dich in Klartext umformulieren: Als du, Mihailytsch, die rayonale Zuckerfabrik von Dondușeni, als sie von diesen Verrückten, wie du sagst, gestürmt wurde, unter der Schürze deiner kleinen ukrainischen Kombinatsnutte Vera Matschinskaja tollkühn verteidigt hast. Von den Ausläufern der Karpaten aus. Sogar jenseits davon, nämlich von Lwow aus. Lwow! Da hast du Vera, wie gewohnt,

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