Zuckerleben: Roman (German Edition)
Wenjaminowitsch in einen anderen Gang, der Lada ächzt widerwillig, fügt sich aber dem Willen seines Lenkers, und Sergej Wenjaminowitsch betrachtet gedankenverloren die Menschen, die sich vor ihrem Haus, einem großen Betonblock, um einen selbstgebastelten, mit Holzkohle betriebenen Metallherd versammelt haben. Sie ziehen mit einer Geschwindigkeit zwischen achtzehn und zwanzig Stundenkilometer an Zhurkow vorbei, wie schlecht bezahlte Statisten in einem Film, die auf Anweisung des Regieassistenten durchs Bild gehen müssen, damit die Szene lebendiger aussieht. Eine geschäftige Frau mit einem Aluminiumeimer in der Hand wirft einen neugierigen Blick auf den violetten Lada, mehr aber auch nicht. Sie stellt ihren Eimer auf dem Herd ab. Ein anderer Bürger im gestreiften Matrosenhemd macht die Heizkammer des aus rötlichen Eisenplatten zusammengeschweißten Metallherdes auf und stochert emsig mit seiner verrußten Eisenstange in der Glut herum, um die Kohlestücke weiter vorn zum Brennen zu bringen, und wirft seinen Zigarettenstummel, der kurz aufflammt und dann sofort verglüht, ebenfalls hinein. Einige Kinder springen um einen Opa herum, der gut gelaunt an seinem Akkordeon zupft und zieht und die Kinder mit energischem Kopfnicken und Fußstampfen in ihrem Tun anfeuert; der Mann mit der Eisenstange sagt wohl etwas Witziges, denn die anderen um ihn herum brechen in amüsiertes Gelächter aus.
»Papa, was machen die Menschen da?«
»Sie kochen, Schätzchen. Und erhitzen Wasser – siehst du da, die großen Kessel mit Emaille-Beschichtung? Da machen sie das Wasser heiß.«
»Und warum machen sie das nicht bei sich zu Hause?«
»Na ja, sie sind vielleicht von den oberen Etagen, wo das heiße Wasser nicht mehr hochgepumpt wird. Außerdem beginnt in einer Stunde der Abendstromausfall. Wenn man da einen elekrischen Herd zu Hause hat, ist es ungünstig.«
»Und draußen ist es bestimmt besser: Man kann sich unterhalten, und die Kinder können spielen. Stimmt’s, Papa?«
»Ja, so ist es, Schätzchen.«
Alina lächelt, zufrieden darüber, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hat, und betrachtet aufmerksam die dicken Metallstangen vor den vergitterten Fenstern der Wohnungen im ersten Stock des nächsten Betonblocks. Auf ihnen hängen normalerweise die Teppiche, die ausgeklopft werden müssen. Doch jene dort sind leer.
»Wo sind die Teppiche, Papa?«, fragt das Mädchen, während der Lada sie in seinem Slalom zwischen den Schlaglöchern sanft hin und her schaukelt.
»Auf dem Markt, Alina. Auf dem Markt. Es ist Sommer, die Leute brauchen keine Teppiche, deswegen verkaufen sie sie dort.«
»Und was machen sie dann mit dem vielen Geld? Kaufen sie ihren Kindern neues Spielzeug, Süßigkeiten oder ›Plombir‹-Eis?«
»Ja, bestimmt. Aber nur, wenn die Kinder artig waren«, erklärt Sergej Wenjaminowitsch.
»Und wann verkaufen wir unsere Teppiche? Es ist doch schon so lange Sommer, und wir haben so viele davon! Sprich doch bitte mit Mama darüber.«
»Mache ich.«
Sie gelangen auf ein besseres, geteertes Stück Straße, das sie in einen dichten Fichtenwald hineinführt; ein dünner Wasserfaden, der sich zu ihrer Rechten eingekerbt hat, begleitet sie bis zu dem improvisierten Parkplatz, wo Zhurkow den Lada 2107 zwischen einem Kübelwagen und einem Wolga mit dem Kennzeichen des Innenministeriums abstellt.
Über einen kurzen Pfad gelangen Sergej Wenjaminowitsch und seine Tochter Alina zu einer kleinen Holzbrücke, hinter der vor einer unscheinbaren, aber großzügig eingerichteten Blockhütte, von ihren Anrainern liebevoll auf den Namen »Holzklump« getauft, einige Männer stehen. Zwei von ihnen liefern sich eine Partie russisches Billard, während die anderen rauchen und sich leise unterhalten.
»Du bist aber spät dran, Wenjaminytsch. Die anderen warten schon da drinnen … Ist schon der dritte Aufguss!«
Die Schwarzhändlergilde von Dondușeni
»Alle Wege führen in die Zuckerfabrik«, bemerkt ein Banja-Besucher philosophisch. Er ist in ein Flanellhandtuch eingewickelt, und auf dem Haupt trägt er einen importierten Tiroler Almhut aus weichem, formbarem Filz, der ihm das Aussehen eines sprechenden gagausischen Gartenzwerges verleiht.
»Und zu Hlebniks Datscha«, ergänzt ein pummeliger Bürger, Chefarzt der gynäkologischen Abteilung der Dondușenier Rayonalen Poliklinik Nr. 1, mit behaartem Oberkörper. Der dondușenische Chefarzt sitzt Sergej Wenjaminowitsch Zhurkow an einem schweren, grob gezimmerten
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