Zuckerleben: Roman (German Edition)
Später würde Yura am Komsomolzensee Tanja treffen und dort in der frisch errichteten Strohhütte der Dumitrius mit ihr die neue Bad-Boys-Blue -Kassette hören, die ihm Vadim der Maler aus Polen mitgebracht hat, und im kitzligen Stroh Spaß miteinander haben. Mit ein bisschen Glück bekämen sie womöglich auch Glühwürmchen zu sehen. Und dann würde er nach Hause fahren zu seiner geliebten Frau Marina und die Kinder rechtzeitig ins Bett bringen. Das Leben ist schön. Bloß die Batterien für den Kassettenrekorder nicht vergessen …, sagt sich Yura und stellt Sergej Wenjaminowitsch Zhurkow ein kleines zuschnürbares Jutesackerl auf den Tisch.
»Ich dachte, jetzt ist der richtige Moment, Wenjaminowitsch. Frisch aus dem Kühlfach!«
»Der Karpfen. Richtig. Danke, Yura. Der ist für unseren Witzbold Mihailytsch, den Major.«
Yura transportiert den Karpfen hierauf zum genannten Offizier, dem Bürger mit dem importierten Tiroler Almhut aus weichem, formbaren Filz, dem Zhurkow zuruft:
»Mihailytsch. Gleich morgen früh wirst du nach Otaci sausen. Zum Bulibascha. Und wirst dem Bulibascha das Jutesackerl mit dem Karpfen überbringen.«
Mihailytsch, der Major, verzieht sein Gesicht, als Yura den Karpfen im Jutesackerl vor seiner Nase auf dem Tisch platziert.
»Und warum muss ausgerechnet ich dem Bulibascha den Fisch überbringen? Wieso kann das nicht wer anderer machen? Yura. Oder Trifon der Transnistrier? Oder Kirill Anghelciuc? Ich meine, Kirill ist doch unser Kurier, er ist letztendlich für solche Dinge zuständig, ich hab schließlich nicht gerade nichts zu tun … Ich muss ja noch unsere Produktpalette für nächsten Monat fertig machen! Also warum ich, Wenjaminowitsch?! Warum ich?«
»Weil du am witzigsten von uns allen bist, Mihailytsch, darum!«
Die Anwesenden am Tisch brechen in ein dezentes Gelächter aus.
»Und solltest du dich irgendwie auf dem Weg nach Otaci verfahren oder zu lange zum Bulibascha brauchen, was ich nicht glaube, könnte es sein, dass deine Frau Swetlana ein paar von deinen Negligé-Fotos zu sehen bekommt, damit sie auch was zu lachen hat. Wenn du aber hurtig hin und retour fährst, dann … Dann ist alles in Butter, Mihailytsch. Und wir vergessen die Geschichte mit deinen trägerlosen Büstenhaltern vor dem Spiegel deiner Kombinatsnutte Vera Matschinskaja in Lwow. Ich meine, zum Bulibascha nach Otaci sind es keine sechzig Kilometer. Nach Lwow zu Vera ist es wesentlich länger. Und da fährst du doch auch regelmäßig hin, ohne so ein trauriges Gesicht zu machen … Stimmt’s oder hab ich recht? Also hör auf, hier pampig meinen feinen Karpfen anzustarren, und stell dich nicht so an. Yura, schenk dem Major doch bitte noch ein Stamperl ein, damit er nicht so schmollt.«
Dann richtet Sergej Wenjaminowitsch das Wort an den Chefarzt der gynäkologischen Abteilung der Dondușenier Rayonalen Poliklinik Nr. 1 Timofej Warlaamowitsch Iapăscurtă, den er bittet, bei seinem Schwager Costea dem Notar eine Urkunde zu besorgen. Zhurkow fügt konkretisierend hinzu, während der pummelige Iapăscurtă mit der Hand über seinen haarigen Oberkörper fährt, als wollte er eine Mücke von seiner Brust verscheuchen:
»Was wir brauchen, mein lieber Timofej Warlaamowitsch, ist was ganz Feines: Ein offizielles und notariell beglaubigtes Dokument. Genauer: Eine Schenkungsurkunde über die Zuckerfabrik und Hlebniks Datscha. Von Zuckerfabrikdirektor Wadim Wladimirowitsch Hlebnik persönlich unterschrieben. Und je schneller dein Schwager dieses Dokument aufsetzen kann, Timofej Warlaamowitsch, umso besser. Du weißt, ich stelle den Mohortisch , es wird zu deinem und deines Schwagers Costea Nachteil nicht sein. Und ich weiß auch, dass so was nie leicht zu bewerkstelligen ist. Staatseigentum. Und Zuckerfabrikdirekor Hlebnik, der gar nicht da ist. Aber lass uns doch nicht immer von Problemen und Schwierigkeiten reden, von der Sowjetunion, die im Begriff ist, sich zu desintegrieren, wie billiges Toilettenpapier im Kanalisationswasser, von der schlechten Ernte, vom Einbruch des Devisenmarktes, vom Stromdefizit, vom Benzindefizit und den anderen vielen Defiziten, von der Preissteigerung, der Hyperinflation, vom Zusammenbruch des RGW -Außenhandels, von den politischen Unruhen, die sich in Gagausien ankündigen, von der Finanzkrise oder davon, dass wir uns am Rande einer Wirtschaftskatastrophe und eines Bürgerkrieges mit Transnistrien befinden. Wenn man sich diese Dinge zu sehr zu Herzen nimmt, dann kann man
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