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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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durchaus geneigt sein, durchzudrehen. Sich im Bad einzuschließen und sich mit einer hübschen importierten Beretta 9   x   19   mm die Birne zu perforieren. Das ist richtig. Aber nur zum Teil. Warum?
    Weil man auf die Probleme fokussiert ist und nicht auf deren Lösung und eine positive Einstellung zum Leben.
    Ihr werdet sagen: ›In Ordnung. Aber früher war alles besser, und es gab keine derart schwere Krise wie heute.‹ Und ich sage euch: Das ist falsch. Wie war es früher?
    Früher sind 120   000 schwer bewaffnete Türken unangekündigt über den Pruth gekommen, ohne Visum, und haben mit aller Vehemenz versucht, uns den Schädel einzuschlagen. Einfach so. Aus Expansionslust. Jedes Jahr im Frühling. Und wenn nicht die Türken, dann waren es die Polen. Und wenn nicht die Polen, dann waren es die Tataren. Und wenn nicht die Tataren, dann die Ungarn oder sonstiges Gesindel. Wie eine militante Sorte Zeugen Jehovas, die ständig vor deiner Tür stehen und immer etwas von dir wollen.
    Das war eine Krise mit großem K . Und was? Haben sich alle Menschen bei uns deswegen umgebracht damals und sich eine Kugel ins Hirn gejagt? Nein, mitnichten. Die haben sich gesagt: Ja, Leute, gut, wir haben ein Problem, die Türken kommen, um uns zu erobern. Wie können wir dieses Problem lösen? Und die Burschen haben sich zivilisiert bei einer Portion Polenta und einem Krug Rotwein hingesetzt und analytisch und konstruktiv überlegt: Gut, dann vergiften wir eben alle Brunnen, zerstören die Felder und entziehen dem Türken so die Nahrungsversorgung und unterbinden seinen Nachschub, zermürben ihn durch ständige Angriffe aus dem Hinterhalt, locken ihn in eine Falle, wo seine numerische Überlegenheit keine Rolle spielt, und metzeln ihn gemächlich nieder, hauen dem Türk so lang in die Gosch’n, bis ihm die Lichter ausgehen. Ein paar Tausend Osmanen spießen wir an der Grenze auf, richten sie samt den Vier-Meter-Spießen in Formation auf und lassen sie bei unserer frischen podolischen Luft vor sich hin verwesen, als reichhaltiges Rabenfutter und psychologische Abschreckung für die anderen Türken, die in der nächsten Saison im Frühling vielleicht kommen wollen. Und nicht kommen sollen.
    Das ist lösungsbezogenes, also positives, konstruktives Denken. Zugegebenermaßen, es ist ein extremes Beispiel. Aber: Extreme Probleme erfordern extreme Lösungen. Dagegen sind unsere Probleme heute, unsere Krise, geradezu lächerlich, und die Beschaffung einer läppischen Schenkungsurkunde erscheint im Vergleich dazu wie ein Kinderspiel; wie eine Biologie-Hausübung über die Anatomie des Feldhasen in der fünften Klasse, die man nebenbei gemacht hat, bevor man mit seinen Freunden auf die Wiese vor der Brotfabrik Fußballspielen gegangen ist. Oder, Timofej Warlaamowitsch? Was sagst du dazu?«
    Dem Chefarzt der gynäkologischen Abteilung der Dondușenier Rayonalen Poliklinik Nr.   1   Timofej Warlaamowitsch Iapăscurtă ist schwindelig. Bei der Vorstellung, wie sein Schwager Costea der Notar auf eine derartige Anfrage reagieren würde und welche Mühen und übermenschliche Anstrengungen es den moldawischen Gynäkologen kosten würde, um diese Hausübung über die Anatomie des Feldhasen für den Vorsitzenden der Schwarzhändlergilde von Dondușeni zu beschaffen, wird dem Gynäkologen zudem kurz schwarz vor den Augen.
    Einen Moment lang vollkommene Finsternis.
    Und in dieser Finsternis fühlt sich Iapăscurtă verlassen und mutterseelenallein, wie eine Schwangere, der ein Kaiserschnitt ohne Lokalanästhesie blüht. Bei dieser unwillkürlichen Vorstellung überkommt Iapăscurtă eine Welle intensiven Selbstmitleids. Und dann spürt der Gynäkologe einen Stich in seinem Mittelohr, der Iapăscurtă bis in sein Gehirn hinein martert, als würde dort ein transnistrischer Kosake mit einem Skalpell herumwüten. Timofej Warlaamowitsch nimmt einen Schluck Chișinăuer Frischbier aus seinem Steinkrug, um sein emotionales Gleichgewicht wiederzufinden.
    Das sind die Momente, in denen sich die Krebszellen im Menschen bilden, sagt sich der Chefarzt, überlegt fieberhaft, was Zhurkow wohl so an kompromittierendem Material über ihn in der Hand haben könnte, räuspert sich kurz und antwortet langsam und klar artikulierend, so als müsste er jedes Wort mit großer Kraftanstrengung, wie ein verstopfter Steinkauz sein Gewölle, aus sich herauswürgen:
    »Ich werde die Urkunde beschaffen.«
    Dazu Zhurkow gut gelaunt:
    »Wunderbar, Warlaamowitsch. Wunderbar.

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