Zuckerleben: Roman (German Edition)
ihnen komische Flausen in den Kopf! Sie verrohen dort und verlieren ihre Bodenständigkeit, ihre Anbindung zum Land, ihre Einfachheit. So wie die Pilipciuc Nadja. Was nützt ihr das am Ende, dass sie in Chișinău studiert hat? Jetzt ist sie wieder nach Corbu zurück. Und tut so, als wär das hier ein seichter Wanzenwinkel, in dem nur unzivilisierte Halbwilde dahinvegetieren, wo sie rein zufällig aus ihrem Palast in Paris abgestiegen ist! Und das sollte sie nicht tun. Du kennst ja unser Sprichwort: ›Scheiß nicht dort, wo du isst!‹ Deswegen: Sie sollte ihren Platz kennen, denn, mal ehrlich, wer zum Henker braucht heutzutage schon eine Italienischlehrerin?«
»Italienischlehrerin?«, fragt Tutunaru interessiert.
Derimedonts Telefon klingelt.
Derimedont wartet, bis es zweimal geläutet hat, flüstert Tutunaru und Lawrow mit einem spitzbübischen Schmunzeln »Gospod Gott liebt die Dreifaltigkeit« zu, hebt mit dem dritten Klingeln den Hörer ab und meldet sich mit einem herzlich-sachlichen »Protodiakon Derimedont beim Heiligen Dumitru am Apparat!«.
Tutunaru zieht den Sargmacher zur Seite.
»Sag, Lawrow, ist Nadja Pilipciuc die Italienischlehrerin das Sarg-Mädchen von neulich?«
Lawrow grinst.
»Dich hat’s aber echt erwischt, ha? Na, na, na! Da brauchst dich nicht verstellen, Bua, weil: Ich hab’s genau g’sehen, wie du ihr nachgestiert hast, dem Zuckergoscherl. Und das obwohl du nach deiner Aquaplaning-Pirouette auf zwei Rädern ausgesehen hast, wie wenn dich eine Stromleitung geknutscht hätt! Dem alten Lawrow kannst da nix erzählen … Die is schon hübsch, das Teufelsweib, gell? Das muss man ihr lassen. Hübsch hat die Irina sie schon gemacht, die Nadjuscha, möge ihr die Erde leicht sein.«
»Ihre Mutter ist schon gestorben?«
»Bei der Geburt. Schlimme G’schicht. So ein herzensguter Mensch! Keiner konnt’s verstehen. Gospod Gott hat gegeben, Gospod Gott hat genommen. Ende der Diskussion.«
»Und wo wohnt sie?«
»Du fragst Sachen, Bua. Dort, wo alle Dahingeschiedenen wohnen, im țîntirim , auf dem Friedhof, natürlich.«
»Nein, ich meine die Nadja …«
»Ihr geht’s aber gleich ran, ihr Jungen, was?! Recht hast. In deinem Alter war ich auch so ein verrückter Spund. Aber, ich sag dir was, hör auf den Rat des alten Lawrow, wenn du ein gesundes Leben haben willst: Mach ausreichend Bewegung, trink Tomatensaft aus dem Päckchen, nimm Calcium zu dir, und halt dich von solchen Weibsbildern wie die Pilipciuc fern! Dann wirst lang gesund bleiben. Außerdem –«
»Was?«
»Nix. Such dir lieber eine anständige Frau. Echt. Die zuzelt dich sonst bis aufs Blut aus und lässt dich links liegen, wie eine Stinkmorchel.«
»Jetzt hör aber auf, hier Horrorgeschichten zu verzapfen, Lawrow. Sag mir besser, wo sie wohnt. Ich brauche eine Italienischlehrerin. Dringend.«
Der moldawische Sargmacher schüttelt enttäuscht seinen Kopf. »Wie du meinst, Bua. Sag später aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.« Er deutet zum telefonierenden Protodiakon: »Das musst schon den Batyuschka Derimedont fragen. Er weiß es bestimmt.«
Derimedont gestikuliert elegant, ruft mahnend in den Hörer: »Ach ja, Petja, habt ihr das Grabloch zugedeckt? Nicht, dass dort am Mittwoch alles voller Wasser ist. Ja? Gut! Weißt du was, ich meld mich später noch bei dir, hab jetzt nämlich Besuch. Nu hai davai !«, legt auf und fragt sogleich den Sargmacher: »Bleibst schon noch auf ein Stamperl Gespräch, oder, Lawrowtscherl?«
»Batyuschka, von welchem Stamperl Gespräch kann da die Rede sein? Ich bin am Steuer und hab auch noch sechs Särge zum Ausliefern. Sag mir lieber, was mit dem Sarg da nicht gepasst hat«, sagt Lawrow und zeigt auf den Sarg, der bereits bei ihrer Ankunft im Raum stand.
Pitirim Tutunaru beäugt zuerst den Sargmacher, dann Derimedont und atmet tief aus. Am liebsten hätte er den Protodiakon gleich gefragt, wo Nadja wohnt, und wäre sofort dorthin gefahren, doch Tutunaru weiß, dass das unhöflich wäre und dass er noch die Parastas-Kerzen von Derimedont braucht. Also übt er sich in Geduld, während der Protodiakon in das von Lawrow angesprochene Bestattungsprodukt hineinsteigt und analysiert:
»Lawrow, der Sarg ist, wie du siehst, zu kurz. Valea war fast so groß wie ich, und wie ich es auch jetzt versuch, mich in den Sarg hineinzuquetschen, klappt das nicht. Der ist eindeutig zu klein, Lawrow. Das siehst du doch auch. Außerdem ist der Stoff ein bisschen kratzig. Ja, ich weiß, dass sie
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