Zuckerleben: Roman (German Edition)
Derimedonts immer noch angenehm warmem Badebottich, in dem er eine gefühlte Ewigkeit verweilt zu haben scheint, und bedankt sich still für den Luxus, der ihm dank Batyuschkas Gnade zuteil wurde. Jemand hat für ihn immerhin mindestens zehn große Kupfereimer Wasser aus dem Brunnen ziehen müssen, bei dem Sauwetter. Dieser jemand, ob Weib oder Mann, hat mindestens fünf davon zum Kochen gebracht und im Badebottich mit dem Inhalt der übrigen fünf vermischt. Wenn man trainiert ist und zwei Eimer, also zwanzig Liter Wasser, auf einmal trägt, sind es fünf Touren zum Brunnen und zurück, ansonsten zehn, nur damit er, Tutunaru, eine Waschung über sich ergehen lassen konnte, denkt Pitirim und hat sofort ein schlechtes Gewissen.
Es ist immer noch Stromausfall.
Tutunaru sieht sich um, kann aber weder ein Handtuch noch sonstiges Bekleidungsmaterial im schummrigen Podwal von Derimedonts dem Heiligen Dumitru geweihten Kirche finden. Deswegen steht er nackt auf dem Fußboden, reibt mit beiden Händen die Wassertropfen von seiner Haut herunter, um schneller trocken zu werden, und bewegt sich ansonsten nicht vom Fleck, weil er den Holzfußboden Derimedonts nicht unnötig nass machen will.
Während er so langsam an der Luft trocknet, überlegt sich der Dondușenier Spekulant, was er denn alles noch in Corbu erledigen muss: Die Lebensmittel von der Liste plus Benzin einkaufen, sein Motorrad wieder einigermaßen in Ordnung bringen und Nadja Pilipciuc, die Italienischlehrerin, finden.
Der Gedanke an Nadja erfüllt den jungen Moldawier mit einer naiven, kindlichen Freude, während Lawrows Warnung in Bezug auf das Mädchen Pitirims Gemüt zugleich betrübt. Folgende Fragen stellt sich Tutunaru:
Ob sie verheiratet ist?
Ob sie Kinder hat?
Wie sie wohl nackt aussieht, mit ihrer orangen Sonnenbrille und ihren Lachgrübchen?
Pitirims Herz schlägt schneller.
Vielleicht hatte der Lawrow tatsächlich recht, ich habe mich in sie verliebt.
Um sich zu beruhigen, lenkt Pitirim seine Gedanken auf das Benzin und an die beschwerliche Einkaufstour auf dem Toltschok, dem Corbulaner Wochenmarkt, die ihm bevorsteht. Ob bei dem Regen überhaupt noch jemand da ist, auf dem Toltschok?, fragt sich der Spekulant, und denkt, dass es sicher beschwerlich wäre, die Dinge sonst irgendwo anders besorgen zu müssen.
Gartendill, rote Chilischoten, Knoblauchzöpfe, Lorbeerbüschel und eine Kette Pfifferlinge hängen wie Girlanden an der honiggelb gemaserten Bretterwand Pitirim Tutunaru gegenüber, dazwischen eine silberbeschlagene Ikone, von dieser aus lächelt dem moldawischen Spekulanten ein Heiliger entgegen, als hätte er ähnliche Schwierigkeiten mit der Beschaffung von defizitärem Benzin gehabt und könne deswegen Pitirims Notlage nur zu gut nachvollziehen.
Tutunaru lächelt zurück, unwillkürlich. Zwinkert mit dem linken Auge.
Betrachtet mit Aufmerksamkeit die bärtige Gestalt auf der Ikone.
»Des is der Heilige Nikolaj, der Wundertäter.«
Tutunaru zuckt zusammen.
Dreht sich um.
Der Dondușenier Spekulant erblickt im hinteren Bereich des Podwals , flankiert von gut einem Dutzend Bubliki -Kringeln, die an einer dicken roten Schnur von der Decke herabhängen, einen lebhaften jungen Mann mit Knebelbart und langen, nach hinten gebundenen Haaren, der in einen verwaschenen Bademantel gehüllt ist. Der junge Sowjetbürger bekreuzigt sich mit auf der silbernen Ikone ruhendem Blick dreimal nach orthodoxer Fasson, mit dem Oberkörper etwas nach vorn verbeugt.
»Hier, das kannst du anziehen«, sagt der Junge im Bademantel hernach, schnurstracks auf Pitirim zugehend, und drückt ihm einige säuberlich gefaltete Kleidungsstücke und ein kleines Duschtuch in die Hand.
»Ich weiß, dass das der Heilige Nikolaj ist.«
Der Junge schenkt Tutunaru ein mildes Lächeln.
»Falls du dich fragst, wo deine nassen Klamotten sind, die du hinten bei der Kiste mit den Sonnenblumenköpfen gelassen hast – ich hab sie zum Waschen gebracht. Oder hast du das auch gewusst?«
»Nein, Scherzkeks, das habe ich nicht gewusst …«
»Des hätt mich auch gewundert, so wie du da im Badebottich wie ein Sägewerk geschnarcht und irgendwas von einem Video-Waggon im 20.38-Uhr-Dieselzug nach Ocnița gestammelt hast! Na ja. Ich hab von deiner Herfahrt mit Lawrowtscherl dem Sargmacher gehört. Sein Bremsmanöver wird dich wohl a bissl durcheinandergebracht haben. Kommt vor. Dafür musst dich aber ned schämen, weil das kann einem jeden passieren. Und keine Sorge, Tutunaru,
Weitere Kostenlose Bücher