Zuckerleben: Roman (German Edition)
Komsomolzen-See-Mücken mit ihrer Aggressivität angesteckt, oder was? Da kommt man mit den besten Absichten, zum Reden, und wird gleich wie ein räudiger Hund empfangen!«
Nadja Pilipciuc packt den Moldawier an der Schulter und flüstert:
»Tut mir leid, Pitirim. Ich hab nichts gegen dich. Es ist nur so: Er ist nicht normal im Kopf, der Mischa. Er ist aus Afghanistan mit einer schweren Kontusion nach Hause gekommen. Seither ist er nicht mehr derselbe. Heute hat er wieder einen seiner Anfälle gehabt. Schau ihn dir doch an, wie er die ganze Zeit in seiner Militäruniform herumrennt und darauf wartet, dass der Afghanistan-Krieg wieder losgeht. Er wartet darauf, dass es weitergeht, er will wieder runter, nach Afghanistan, kämpfen. Außerdem hat er ein Alkoholproblem. Ihm tut der Samagon nicht gut. Das heißt, am Anfang schon, aber dann wird er aggressiv. Und jetzt kommst du mit diesem Schnapskanister. Bitte geh, Tutunaru, wir können ja später noch mal telefonieren und über den Italienischunterricht sprechen. Ich finde das ja schön, dass du deswegen zu mir gekommen bist. Und ich würde sehr gerne wieder Italienisch unterrichten, wie in Chișinău. Später vielleicht.«
»Später geht nicht, Nadja. Später ist zu spät .«
»Na dann, hereinspaziert in die gute Stube!«, ruft der Stabswachtmeister plötzlich von hinten.
Nadja lässt von Tutunaru ab, und ihr wird klar, dass die fünfundzwanzig Minuten wohl bald vorbei sein müssten und sie deswegen Casap zurückrufen sollte. Sie folgt Mischa und Tutunaru, ins Haus mit der Nummer 26 und geht gleich zum Telefon.
Nicht, dass der Casap noch mit seinen Knastbrüdern hier auftaucht.
Mischas Echo des Krieges oder: Sorry, Abdullah!
Pitirim Tutunaru zupft an einer akustischen Gitarre, eine Aluminiumtasse Samagon und ein Glas mit frischem Birkensaft vor sich. Ihm gegenüber: Mischa, der seine Pistole putzt. Neben sich hat er zwei leere Stangenmagazine auf dem Tisch und jede Menge Parabellum-9-mm-Patronen.
Mischa ist betrunken, gut gelaunt und erzählfreudig.
An der Wand sind verschiedene Afghanistan-Karten angebracht, Einheitswimpel des 357. und des 345. Fallschirmjäger-Garderegiments der 103. Division der 40. Armee der Sowjetunion sowie des 115. Sondereinsatz-Regiments des Fallschirmjagdkommandos der 40. Armee, ein »Krieger-Internationalist«- U d SSR -Fähnchen, vergilbte Zeitungsausschnitte aus der Prawda , in denen vom Aufbau von Schulen, vom Wiederaufbau der Infrastruktur in der Demokratischen Republik Afghanistan ( DRA) durch Angehörige der 40. Armee berichtet und mit entsprechendem Bildmaterial belegt wird. Dazu Zeitungsberichte von Kampfhandlungen, etwa ein Iswestija -Artikel aus dem Jahr 1986, in dem von der erfolgreichen Vernichtung einer großen Basis islamistischer Terroristen durch die 15. Brigade der Spezialeinheiten des militärischen Geheimdienstes GRU unter Einbindung des 154. Dschelālābād’schen und des 334. Asadabad’schen Bataillons bei Karera, zwanzig Kilometer südlich von Asadabad, Provinz Kunar, berichtet wird. Ein weiterer Artikel informiert über den Beschluss des US -amerikanischen Kongresses vom April 1981, die aufständischen islamischen Terroristen, die ihre Anschläge gegen sowjetische Einheiten sowie gegen die regierungstreuen Truppen der Demokratischen Republik Afghanistan richten, mit mindestens 150 Millionen Dollar pro Jahr sowie mit schwerem Kriegsgerät »offen und direkt« zu unterstützen; über die der Ausweisung US -amerikanischer Botschaftsangehöriger aus Kabul, nachdem diese mit belastendem Material zur Vorbereitung von Diversionsoperationen gegen die Regierungstruppen der DRA angetroffen worden sind, vom Abfang der ersten Partie US -amerikanischer Stinger- FIM -92-Raketen an der afghanisch-pakistanischen Grenze im Raum Kandahār durch Abteilungen der 22. Brigade der Spezialeinheiten des militärischen Geheimdienstes GRU und dergleichen mehr.
Die tapezierte Wand in Mischas Wohnzimmer ist zudem gespickt mit Erinnerungsfotos. Auf einem von ihnen, in einen schönen Rahmen eingebettet, ist im Vordergrund ein grinsender Mischa mit einem umgehängten Fußball zu sehen, daneben ein schnauzbärtiger Major der Spezialeinheiten des militärischen Geheimdienstes GRU , ein bärtiger Afghane in Nationaltracht, der irgendwie fehl am Platz wirkt, und ein Generalmajor des Fallschirmjagdkommandos. Der Generalmajor tauscht gerade seine Schirmmütze gegen Mischas blaues Barett aus und lächelt Mischa an, als würde
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