Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
Vom Netzwerk:
das an seinem Platz auf einem Beistelltisch penetrant klingelt.
    »Ich muss Mischa sprechen. Es ist dringend.«
    »Dir auch einen guten Abend, Wassiljewitsch. Mischa ist gerade zum Brunnen gegangen. Außerdem hat er mal wieder einen seiner Anfälle gehabt und ist kaum für etwas zu gebrauchen.«
    Pause.
    Der Gesprächspartner verstummt abrupt, als hätte ihm jemand plötzlich die Zunge herausgerissen.
    »Wassiljewitsch? Was ist denn los, bist du noch dran?«
    »Hör mir genau zu, Nadja. Da ist so ein windiger Typ mit Schnauzbart, der mit einem Minsk-Motorrad hier aufgetaucht ist und herumschnüffelt. Der Schnauzbart gefällt mir nicht. Ich hab’s gleich im Urin gespürt, dass mit dem Komiker was nicht koscher ist. Er hat nach eurer Adresse gefragt, kennt aber Mischa nicht. Bestimmt wird er bald auftauchen.«
    Aus seinem Nest in der obersten Etage einer schokoladefarbenen Kuckucksuhr schießt ein kleiner Plastikvogel und plärrt frenetisch los, die männliche Stimme in der Leitung problemlos übertönend. Kurz darauf verschwindet der Plastikvogel wieder in seinem Nest. Stille. Dann öffnen sich die Fensterläden der Kuckuckusuhr erneut, der Vogel taucht abermals auf, plärrt wie am Spieß und verschwindet wieder; die Fensterläden gehen zu, um nach dem Bruchteil einer Sekunde wieder aufzuspringen und den lärmenden Plastikvogel herauszulassen: Es läutet an der Tür.
    Nadja Pilipciuc wirft einen Blick aus dem Fenster hinaus und erkennt draußen den Dondușenier Schwarzmarktspekulanten Pitirim Tutunaru, der auf seinem Minsk-Motorrad mit Seitenwagen steht, um besser über das Tor und den Garten hinweg zum weißen Haus mit der Nummer 26 sehen zu können.
    »Er ist schon da, aber mach dir keine Sorgen, ich kenne ihn. Es ist Tutunaru aus Dondușeni. Der ist in Ordnung.«
    Casaps Stimme erklingt wieder aus der Leitung, leiser, aber dadurch irgendwie entschlossener und klarer:
    »Aus Dondușeni, sagst du? Die Typen, die Faschist vergiften wollten, waren auch aus Dondușeni, die Hundesöhne, blya . Die Hoden sollen ihnen vertrocknen!«
    »Wassiljewitsch, hast du mir nicht zugehört? Jetzt mach dir –«
    »Jetzt hörst du mir mal zu! Verstanden?!«, fällt Casap der Italienischlehrerin ins Wort, während diese mit dem Apparat, das schwarze Telefonkabel in der Hand, zur Tür geht. Casap überlegt kurz und setzt nach einem Räuspern das Gespräch in ruhigem Tonfall fort:
    »Also Nadja. Wir verbleiben so: Wenn du dich nicht innerhalb von … genau … fünfundzwanzig Minuten bei mir meldest, funk ich den Burschen, sie sollen die 9.-Mai-Straße komplett blockieren, zum Zentrum und zum Komsomolzen-See hin. Dann komm ich zu euch rüber, durch den Hintereingang. Dass Mischa auch Bescheid weiß. Dann werden wir schon klären, wie und was, wer und wo und wozu und wofür und weswegen und woher genau aus Dondușeni. Faschist bring ich mit. Heutzutage sind die Menschen aggressiv, als hätte man ihnen ein glühendes Eisen in den Arsch gesteckt und ein paarmal dran gedreht. Da kann man nicht vorsichtig genug sein! Das ist alles.«
    Und legt auf.
    »Dir auch einen schönen Abend noch, Wassiljewitsch«, antwortet Nadja Pilipciuc dem Piepston in der Leitung und legt auf.
    Draußen liegt die Corbulaner Augusthitze zwischen den Häusern.
    Die moldawischen Grillen machen sich immer noch einen Spaß daraus, gegeneinander um die Wette zu trillern, während es die Mücken auf das Blut der Sowjetbürger abgesehen haben und von der akustischen Deckung der Grillen getarnt ihre Streifzüge über die wandelnden Blutvorratslager – die Menschen – abhalten.
    Zwei Mücken haben es auf Tutunaru abgesehen. Die kleinere und sadistischere von ihnen schafft es stets, so knapp an Tutunarus Ohr vorbeizufliegen, dass der Dondușenier Spekulant das Vorbeiziehen ihrer Flügel wie einen bösartigen Mikroventilator spürt. Und dann das Summen, das immer wiederkommt und sich entfernt, lauter – leiser, leiser – lauter, lauter – leiser, und so immerfort. Und egal, wie intensiv sich der Dondușenier Schwarzmarktspekulant gegen diese insektische Mikrofurie zur Wehr setzt, die sadistische Mücke ist klein, wendig, in der Dunkelheit so gut wie unsichtbar und fliegt immer und immer wieder an Tutunarus Ohr vorbei, mit ihrem Summen, das tief hinein in Tutunarus Gehirn eindringt, als wäre es eine lange, harte Nadel, die sämtliche Windungen seines Innenohrs durchsticht. Und dann sticht die Mücke den Dondușenier Spekulanten in den Hals, verweilt dort ein wenig,

Weitere Kostenlose Bücher