Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
Menge verschiedener Häuser in allen Formen und Größen aus Ziegeln, Holz und allerlei farbig gestrichenem und verziertem Putz. Manche waren in enge Zwischenräume gequetscht, andere ragten hoch auf und neigten sich auf diese oder jene Seite. Noch spannender waren die Geschäfte, und ich starrte verwundert in die Auslagen derer, die sich am Brückengeländer zusammendrängten. In meinem ganzen Leben hatte ich nicht solch eine Ansammlung von Dingen gesehen, die zum Verkauf standen: Bücher, Porzellan, Holzspielzeug, Besen, Bänder, Perücken, Schnallen, Krüge, Federhüte und Gürtel - in London gab es einfach alles!
Ich fing an, mir zu überlegen, was ich mir kaufen würde, wenn ich erst einmal reich wäre. Denn wir würden reich sein, daran gab es keinen Zweifel - Sarah hätte mich nicht kommen lassen, wenn ihr Geschäft nicht gut liefe. Zu Hause waren wir keineswegs arm -wir hatten einige schöne Stühle und Bänke, ein paar
Zinnteller und genügend Platz, dass ich mir meinen Schlafraum nur mit meiner jüngeren Schwester Anne zu teilen brauchte (meine kleinen Brüder hatten ein eigenes Zimmer) -, aber dort war es vollkommen unmöglich, mit der Mode zu gehen. Und selbst wenn ich es mir hätte erlauben können, all die Jacken und geblümten Westen aus Seide zu kaufen, die ich mir so sehr wünschte: Wer hätte denn dort bemerkt, dass ich sie trug, außer ein paar einfältigen Wildhütern und Holzfällersöhnen? Doch in London würde ich mit etwas Glück eine gute Partie machen - oder zumindest von einem netten jungen Mann ins Kaffeehaus oder zu einem Spaziergang in einem der Lustgärten eingeladen werden.
Auf der anderen Seite der Brücke verlangsamte ich meinen Schritt, weil sich eine große, fette Sau mit einer Schar kleiner Ferkel wild grunzend an mir vorbeidrängte und anfing, im Haufen Schlamm und Unrat vor einer Ladentür nach etwas Essbarem zu suchen. Zu Hause gab meine Mutter unseren Schweinen immer die besten Reste, doch hier konnte ich kaum etwas entdecken, das sie hätten fressen können. Mutter sagte immer, dass Schweinefleisch umso zarter werde, je besser das Futter sei, das die Schweine bekämen. Und Vater beklagte sich manches Mal, dass sie besser äßen als er. Doch das letzte Mal, als er das sagte, setzte ihm Mutter einen Haufen dreckiger Kartoffelschalen auf unserem besten Zinnteller vor, und seither ist er nicht mehr darauf zurückgekommen.
Unterwegs trödelte ich, wegen der Hitze ein wenig verschwitzt, und sah mir alles genau an, horchte auf die Rufe der Straßenhändler: »Kommt und kauft!«, mit denen sie Hunderte von verschiedenen Sachen anpriesen, und staunte und wunderte mich im Stillen. So viele geschäftige, interessante Leute: Was sie bloß alle taten? Wo sie alle hingingen? Zwei Galane zu Pferde rauschten in einer Wolke von juwelenfarbenem Samt und goldener Spitze vorbei, ihre Sporen und Steigbügel glänzten im Sonnenlicht. Dann kamen ein paar Sänften, gefolgt von einer leuchtend gelben Kutsche, die von vier schönen Pferden mit vergoldetem Lederzaumzeug gezogen wurde. Auf der Tür der Kutsche prangte ein Familienwappen, und im Fenster saß eine in prächtige Seidenstoffe gehüllte Dame, die die Welt durch eine vors Gesicht gehaltene Maske betrachtete.
Sie war auf dem Weg zu einem Stelldichein, da war ich mir sicher, denn ich hatte viele Geschichten vom Hof und den Intrigen dort gehört. Man sagte, der König habe zahlreiche Geliebte, und die Damen und Herren am Hof stimmten seinem Treiben nicht nur zu, sondern hielten es ebenfalls so. Meine Mutter und ich hatten diese Gerüchte voller Spannung verfolgt, wenn sie uns durch die Balladen oder die Nachrichtenblätter erreichten, die uns die Straßenhändler verkauften, doch jetzt würde ich an der richtigen Stelle sein, um sie aus erster Hand zu vernehmen.
Als ich die andere Seite der Brücke erreichte, bog ich rechts in eine breite Straße ein und blieb kurz bei einem Brunnen auf einem kleinen gepflasterten Platz stehen. Von hier aus führten die Straßen in sieben verschiedene Richtungen, wie die Speichen eines Rades, und Sarah hatte mir gesagt, ich solle die Straße nehmen, an deren Anfang sich das Gasthaus Die Kröte und die Trommel befindet. Das tat ich und fand mich in einer schmalen und schäbigen Straße wieder, die ungepflastert und schlammig war. Die Häuser waren hier so hoch, dass es der Sonne nur selten gelang, durch die Lücken hindurchzuscheinen, und ihre Erkerfenster ragten so weit über die Straße, dass alle, die
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