Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
begrüßen, und sog die Luft im Geschäft dankbar ein. Es duftete nach Gewürzen und Zuckerwasser, und auf dem Holzfußboden lagen überall Kräuter, was nach einigen der üblen Gerüche draußen sehr angenehm war.
»Sarah!«, sagte ich. »Hier bin ich!«
Sie blickte zu mir auf, und bestürzt bemerkte ich, dass sie bei meinem Anblick überrascht - ja sogar schockiert - zu sein schien. Sie konnte doch nicht vergessen haben, dass ich kam?
»Hannah!«, sagte sie. »Wie zum Teufel bist du ...«
»Genau, wie wir es ausgemacht hatten«, antwortete ich munter. »Ich bin mit dem Karren von Bauer Price bis nach Southwarke gefahren und von dort aus gelaufen. Aber was für ein Chaos und Durcheinander überall in London herrschen. Und wie es stinkt! Was für eine Unmenge Menschen!«
»Aber was hast du denn hier zu suchen, Hannah?«
Ich stellte mein Bündel und meinen Korb ab. »Ich bin gekommen, um dir zu helfen, natürlich - genau, wie du es dir gewünscht hast. Reverend Davies hat mir deinen Brief gebracht, und ich war so aufgeregt -Vater hat gesagt, dass er in seinem ganzen Leben noch nie einen Brief bekommen hat. Wo ist denn dein Wohnraum? Und wo soll ich schlafen? Darf ich mich umsehen?«
»Aber ich habe dir noch einen Brief geschickt«, sagte sie. »Vor zwei Wochen habe ich dir geschrieben, dass du nicht kommen sollst.«
»Nicht kommen?«, sagte ich ungläubig. »Das kann doch nicht sein.«
»Diesen Brief habe ich auch an Reverend Davies geschickt. Ist er denn nicht damit zu dir gekommen?«
Ich schüttelte den Kopf, geknickt und tief enttäuscht. Ich würde es nicht aushalten, wenn ich nach Chertsey zurückmüsste! Was sollte denn aus meinen hochfliegenden Plänen werden, in London zu leben, mich nach der neuesten Mode zu kleiden, Schauspielhäuser und Biergärten zu besuchen, auf Jahrmärkte zu gehen und vielleicht sogar einen gut aussehenden Verehrer kennen zu lernen?
»Aber warum möchtest du mich denn nicht hier haben?«, fragte ich. »Ich werde dir so eine große Hilfe sein! Mutter hat mir ein paar Rezepte zum Kandieren von Früchten gegeben, und ich kann auch schon viel besser lesen und schreiben als früher. Ich kann dir bei allen möglichen Dingen behilflich sein.«
Ich konnte nicht verstehen, warum sie mich nicht liier haben wollte, und begann mich zu fragen, was ich in der Vergangenheit getan haben könnte, das sie mir trotz allem nicht verzeihen konnte. Vielleicht hatte ich ja aus Versehen die neue Spitze zerrissen, aus der sie eine Haube machen wollte, oder ich war am Valentinstag frühmorgens aus dem Haus geeilt und hatte Chertseys einzigen ansehnlichen jungen Bauern begrüßt, ehe sie dazu gekommen war?
»Es hat nichts damit zu tun, dass ich dich nicht hier haben möchte, Hannah«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Es ist wegen ... Hast du denn nicht davon gehört?«
»Wovon gehört?«
»Von ... von der Pest«, sagte sie und sah sich mit einem leichten Schaudern um, als stünde das, wovon sie sprach, in Form einer großen, furchtbaren Bestie hinter ihr. »In London ist die Pest wieder ausgebrochen.«
Erleichtert atmete ich auf. »Ach, das ist also der Grund!«, sagte ich. Also war es nicht wegen etwas, das ich getan hatte. »Ist das alles? Aber warum denn? Die Pest ist doch immer irgendwo, und so lange sie nicht hier ist - ich meine, nicht genau hier...«
»Nun, sie ist nicht in dieser Gemeinde«, gab sie zu, »aber in St. Giles hat es ein paar Fälle gegeben. Und in Drury Lane ist ein Haus versiegelt worden.«
»Versiegelt?«, fragte ich. »Was bedeutet das?«
»Einer der Hausbewohner - eine Frau - hat die Pest, und sie ist zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern eingesperrt worden, damit sich die Pest nicht weiterverbreiten kann.«
»Da hast du es ja - es ist alles unter Kontrolle!«, sagte ich. »Und es ist nur ein Haus, Sarah - darüber brauchen wir uns doch keine Sorgen zu machen, oder? Außerdem sind in einer Stadt wie London doch bestimmt die allerbesten Ärzte und Apotheker. Ich wette, wir sind hier besser aufgehoben als an jedem anderen Ort.«
»Ich weiß ja nicht...«
»Aber jetzt bin ich hier, Sarah. Schick mich nicht wieder zurück!«, bat ich sie und begriff, dass Bauer Price mit seiner seltsamen Bemerkung bestimmt auf die Pest angespielt hatte. »Bitte, lass mich hier bleiben«, flehte ich sie an. »Ich halte es nicht aus, wenn ich wieder nach Hause muss.«
»Ich bin mir nicht sicher«, seufzte sie.
»Ich werde dir aufs Wort gehorchen«, fuhr ich besorgt fort, »ich
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