Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
einem Himmelbett mit goldenen Vorhängen, die aus Persien stammen sollen.«
Als sie mir das erzählt hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als diese Dinge zu sehen, doch Abby wagte nicht, mich nach oben mitzunehmen. Dafür schlug sie vor, ins Kinderzimmer zu gehen und das Baby zu holen, um es mir zu zeigen. Ich sollte solange die Dienstbotentreppe zu ihrem Zimmer hochgehen und dort auf sie warten.
Ehrlich gesagt, interessierte mich das Baby überhaupt nicht - mit meinen kleinen Geschwistern hatte ich wahrlich mehr als genug Säuglinge gesehen -, aber Abby sagte, dass es ein hübsches Baby sei, und sie schien es mir so gern zeigen zu wollen, dass ich auf ihren Vorschlag einging.
Es war ein hübsches, etwa drei Monate altes Baby mit dichtem schwarzem Haar, das immer noch fest in ein Kambriktuch gewickelt war. Es war wach und lächelte uns an, also löste Abby das Tuch und ließ es die Arme bewegen.
»Das ist Grace«, sagte Abby. »Und sie muss mich für ihre Mutter halten, denn seit ihrer Geburt bin ich diejenige, die sich um sie kümmert.«
»Wie wird sie denn ernährt, wenn deine Herrin so krank ist?«, fragte ich. »Hat sie eine Amme?«
Abby schüttelte den Kopf. »Aus Angst vor der Seuche nehmen sie keine, also kommt zwei Mal täglich eine Magd mit einem Milchesel vorbei.« Sie strich über die Wange des Babys. »Ich lasse mir die Milch über die Hand laufen, und dieses kleine Ding da lutscht sie mir von den Fingern.«
Eine Weile lang sagte ich nichts, dann fragte ich mit leiser Stimme: »Was deine Herrin hat, ist nicht die Pest, oder?«
Abby lachte. »Ganz bestimmt nicht! Die Pest hätte sie schon längst dahingerafft. Es ist nur Kindbettfieber. Aber ich muss zugeben«, fügte sie hinzu, »dass ich sie immer auf Flecken hin untersuche, wenn ich sie wasche, denn ich weiß, dass die Pest nicht vor feinen Leuten Halt macht. Sie kann eine vornehme Dame ebenso gut heimsuchen wie die Wirtin einer Schenke.«
»Nimmst du denn selbst ein Schutzmittel?«
Sie nickte. »Der Arzt meiner Herrin hat uns einen Sirup aus Rosen gemacht, bevor er aufs Land gegangen ist. Und wir kauen alle auf einem Stück Engelwurz, wenn wir aus dem Haus gehen.«
Über die Schutzmittel zu reden erinnerte mich an Tom, und ziemlich verschämt kam ich auf ihn zu sprechen und fragte Abby, ob ich ihm erlauben sollte, mich zu küssen, oder nicht. »Ich meine richtiges Küssen - auf den Mund«, erklärte ich.
Sie lachte. »Natürlich!«, sagte sie. »Wozu ist denn ein Liebster gut, wenn man nicht ein paar Küsse von ihm bekommt!«
»Aber Mutter sagte immer...«
Abby wedelte abwehrend mit der Hand. »In London ist das anders«, erklärte sie, »und jetzt ist es erst recht anders, wenn man sich noch nicht mal darauf verlassen kann, noch zwei Tage am Leben zu sein. Wenn die Pest dich erwischt...«
Ich stieß einen leisen Schreckensschrei aus.
»Du willst doch nicht ungeküsst ins Grab wandern, oder?«
Ich lächelte und wurde rot. »Nein, das will ich nicht!«
»Nun denn«, sagte sie.
Lachend sagte ich ihr, dass ich es mir überlegen wolle, und verabschiedete mich von ihr.
Die erste Augustwoche
»Und ich erschrak beim Anblick der vielen neuen Gräber auf dem Kirchhof, weil so viele an der Pest gestorben sind.«
Beten ist ja schön und gut«, sagte die kräftige Frau in der Kirche, »aber fasten kann ich nicht! Und ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte. Ich glaube nicht, dass der König fastet. Ich bin mir sicher, dass er und sein Hof sich wie sonst auch Moorhühner, Austern, Hummer und Gänse vorsetzen lassen!«
Sarah und ich lächelten der Frau zu, die so breit wie hoch war, und rutschten auf der Kirchenbank ein wenig weiter weg von ihr. Sie schwitzte und hatte ein gerötetes Gesicht, und wir wollten nicht mit ihrem Atem in Berührung kommen, denn laut dem neuesten Gerücht war es am besten, nicht zu schwitzen und sich möglichst von seinen Mitmenschen fern zu halten, um verseuchte Luft zu meiden. Allerdings schienen die Behörden dieses Gerücht noch nicht gehört zu haben, denn wir wurden immer noch aufgefordert, regelmäßig zur Kirche zu gehen, mindestens an jedem ersten Mittwoch des Monats.
Auf der Totenliste stand, dass es letzte Woche beinahe zweieinhalbtausend Pesttote gegeben hatte, und auf dem Weg zur Kirche von St. Dominic bemerkte ich, wie hoch aufgeschüttet die Erde im Kirchhof war; wie Leichen über Leichen gestapelt worden waren, so dass der Boden rechts und links des Fußweges mehrere Fuß
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