Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
gehört.
»Es ist in Dorsetshire, südwestlich von London. Wir sollen auf ein großes Gut gehen, das der Schwester meiner Herrin, einer adligen Dame, gehört. Dort werden wir in Sicherheit vor der Krankheit sein.«
»Oh«, sagte ich und fühlte mich ein bisschen verlassen. »Wann fahrt ihr denn los?«
»Sobald sich meine Herrin gut genug fühlt, um zu reisen.«
»Und du bist die Einzige, die mit ihr fährt?«
Sie nickte. »Mrs. Beauchurch sagt, dass ich von der ganzen Dienerschaft am besten mit dem Baby umgehen kann«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Es hat mir bestimmt geholfen, dass ich sechs kleine Schwestern habe.«
»Aber was ist mit deinem Herrn? Will er denn nicht auch aus London fort?«
»Er muss bleiben und sich um das Tuchwarengeschäft kümmern. Außerdem kann man nur zwei Reiseerlaubnisse bekommen, und selbst das ist unglaublich schwierig, weil nur der Lord Mayor persönlich sie ausstellen darf. Andere Unterschriften werden nicht anerkannt!«, sagte sie und vollführte ein paar Tanzschritte durch den Raum. »Und weißt du was? Die Reise dorthin dauert vier Tage, und wir müssen unterwegs in Herbergen übernachten, wo ich allerlei junge Kavaliere treffen werde!«
Ich lachte, denn sie wirbelte herum und hob ihre Unterröcke, als würde sie zu Hause den Bändertanz um den Maibaum tanzen. »Aber was wird denn aus deinem Liebsten?«, fragte ich.
Sie verzog das Gesicht. »Das ist doch nur ein kümmerlicher Dreckskerl«, sagte sie. »Ich habe ihn zusammen mit einem der Mädchen aus dem Kaffeehaus spazieren gehen sehen.«
Eine Weile lang blieb ich still, dann sagte ich: »Du wirst mir fehlen. Wann, glaubst du, wird sich deine Herrin gut genug fühlen, um zu verreisen?«
»Nächste Woche, vielleicht. Allerdings war sie heute
Nacht furchtbar krank, und ich musste drei Mal zu ihr.«
»Aber dem Baby geht es gut?«
»Jawohl. Gesund und hungrig.«
Genau in diesem Moment kamen eine ausgesprochen rundliche Frau in einem dunkelroten Kleid und ein junges Mädchen, das ein schwarzes Dienstmädchenkleid trug, durch die Milchkammer, beide mit Einkaufskörben. Die dicke Frau runzelte bei Abbys Anblick leicht die Stirn, doch diese begnügte sich damit, ihr ein strahlendes Lächeln zu schenken.
»Das ganze Haus ist furchtbar neidisch, dass ich nach Dorchester fahre!«, flüsterte Abby, und dann lachte sie laut. »Großer Gott! Hast du gesehen, wie dick Cook ist? Sie steckt in ihrem Kleid wie die Wurst in der Pelle«, sagte sie und schlüpfte dann zur Hintertür der Milchkammer. »Lass uns gehen - jetzt sind fast alle ausgegangen, und die Herrin schläft. Komm rein, und ich werde dir die ganze Einrichtung zeigen!«
Das Haus war sehr groß, es war das größte und prachtvollste, das ich je betreten hatte. Hinter der Milchkammer lag eine Vorratskammer, in der Kräutersträuße getrocknet wurden und Blüten lagerten, aus denen Potpourris und Blütenwasser gemacht wurden. Dahinter befand sich ein Waschraum, in dem Kittel aus weißem Leinen und Bettlaken aus Damast trockneten. Auf der nächsten Etage lagen eine Küche und ein Esszimmer, doch weil Abby meinte, dass die Haushälterin da sei, gingen wir nicht hinein, sondern schlichen hoch in den nächsten Stock. Abby öffnete die Tür des Empfangszimmers und gab den Blick frei auf Wände, die mit schwarz-silbern gestreifter Seide bespannt waren, auf zierliche geschnitzte Möbel und schmale Bänke, auf denen mit Silberfäden durchsetzte dunkelrote Samtkissen lagen. Der Boden war mit dicken gemusterten Teppichen ausgelegt, und an den Wänden hingen Porträts, allerdings wusste Abby nicht, wen sie darstellten.
Der nächste Raum - mit Glasfenstern, die wie Diamanten funkelten und auf den blumenbepflanzten Hof gingen, und einem riesigen Kamin aus geschnitztem Holz, der bis zur Decke reichte - war noch prachtvoller. Hier sah ich versilberte Stühle und mit Blumenmuster verzierte Kommoden, auf denen Porzellanvasen und silberne Kerzenleuchter standen, und das alles war so vornehm, dass ich tief Luft holen musste.
»Ich hätte nie gedacht, dass die Einrichtung eines Hauses so vornehm sein kann«, sagte ich zu Abby, denn tatsächlich waren alle Häuser, die ich bislang betreten hatte, ob groß oder klein, im ländlichen, rustikalen Stil eingerichtet gewesen.
»Ach, das ist doch alles nur Prunk!«, sagte sie. »Sie betreten diese Räume so gut wie nie. Aber du solltest erst mal die Schlafzimmer sehen! Das meiner Herrin ist voller venezianischer Spiegel, und sie schläft in
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