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Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin

Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin

Titel: Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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wieder aus der Gasse herauskam, wusste ich nicht mehr, wo ich war, und weil die Sonne untergegangen war, konnte ich mich auch nicht an ihr orientieren.
    Ich bog nach rechts ab, aber als ich zum Fleet River kam, wusste ich gleich, dass ich nicht die richtige Richtung eingeschlagen hatte, und machte kehrt. Doch in meiner Eile verpasste ich die Gasse, durch die ich gekommen war. Ich rannte los und fand mich schließlich in der Nähe der Stadtmauern und der Kirche von St. Just wieder. Dem Einzigen, der an mir vorbeikam -er hatte den Blick und die Hände zum Himmel erhoben und ersuchte Gott laut, uns allen gnädig zu sein -, wollte ich nicht nahe kommen. Also hielt ich es für das Beste, zur Kirche zu gehen, in der Hoffnung, dort jemanden zu treffen, den ich nach dem Weg fragen konnte.
    Leider traf ich dort jedoch keinen Geistlichen. Stattdessen bot sich mir hinter der Kirche ein schauerlicher Anblick: Es war eine der Pestgruben, von denen Mr. Newbery gesprochen hatte - ein bodenloses schwarzes Loch, von den Fackeln der Umstehenden erhellt. In der Grube selbst standen auch Männer, oder vielmehr, es liefen dort Männer herum (vielleicht auf Leichen, dachte ich), und noch einige standen neben einem Totenkarren, der gerade vorgefahren war.
    Der Karren wurde von Pferden gezogen, und darauf lag ein Haufen toter Körper, insgesamt vielleicht dreißig oder vierzig. Ich konnte nicht anders, als zuzusehen, wie er hochgekippt wurde und der Leichenhaufen - ein Wirrwarr von Armen, Beinen, Haaren und Lumpen - in die Grube rutschte.
    »Hier kommt noch eine Ladung Reisigbündel!«, hörte ich einen Mann rufen, woraufhin großes Gelächter ertönte.
    »Stapelt sie übereinander!«, schrie ein anderer.
    Unter meinen Augen gingen die Männer, die in der Grube standen, hin und her und zogen und zerrten mit ihren Haken so an den Leichen, dass sie auf einer Ebene lagen. Andere schütteten Kalk aus riesigen Säcken aus und bestreuten sie damit. Ich hörte kein einziges gemurmeltes Gebet, noch sah ich den Ausdruck von Trauer in irgendeiner Form, im Gegenteil. Das alles geschah mit einer gefühllosen und grausamen Gleichgültigkeit gegenüber den armen Leichen, die nun den Blicken aller ausgesetzt dalagen.
    Als ein weiterer Totenkarren ankam, wendete ich mich zutiefst erschüttert ab, und es gelang mir durch reinen Zufall, den richtigen Weg nach Hause zu finden. Doch das Grauen dieses Abends war noch nicht vorüber, denn auf dem Rückweg stolperte ich über die Leiche eines jungen Mannes, die quer vor einem Haus-cingang lag. Er hielt eine Bibel in der Hand, und seine Augen waren weit geöffnet und starrten in die Luft. Dieser Anblick jagte mir einen fürchterlichen Schreck ein.
    Ich schaffte es jedoch, nach Hause zu kommen, ehe die Pestkranken auf die Straße gingen, und nachdem ich mich gründlich gewaschen hatte (weil ich mich nach allem, was ich gesehen hatte, klamm und schmutzig fühlte), warteten Sarah und ich hinter unseren Fensterläden mit krankhafter Neugier darauf, dass diese armen Geschöpfe auftauchten. Die Straßen lagen jetzt vollkommen verlassen da, und es war draußen, abgesehen vom Läuten einer Glocke in der Ferne, so still wie in einem Leichenhaus, bis leise klopfende und schlurfende Geräusche auf den Pflastersteinen ertönten.
    Wir waren auf den Anblick schrecklicher Ungeheuer gefasst, doch als die Kranken in Sicht kamen, war es nur ein Haufen bemitleidenswerter Jammergestalten: alte und junge, geduckte und aufrechte, häss-liche und schöne; manche, die auf dem Weg der Besserung waren und mit beinahe selbstsicheren Schritten an unserem Geschäft vorbeigingen; andere, die sich, gekrümmt vor Schmerzen, an Stöcken festklammerten, und einer oder zwei, die in einer Karre saßen und sich schieben ließen. Das Einzige, was sie gemein hatten, war, dass sie alle pestkrank waren und als Zeichen dafür fleckige, zerrissene Bandagen trugen.
    »Und das sind nur die, die sich gut genug fühlen, um aus dem Haus zu gehen«, flüsterte Sarah, während wir der Mitleid erregenden Prozession zusahen.
    Insgesamt waren es vielleicht vierzig, die allein oder zu zweit vorbeikamen, manche trugen Fackeln vor sich her. Dann kam eine ganze Gruppe aus einem Pesthaus: zehn bis zwölf Leute, die alle einen weißen Stab in der Hand hielten und einer mürrisch aussehenden Nonne folgten. Ich stellte mir vor, wie sie zum Pesthaus zurückgingen und den Insassen, die sich nicht gut genug fühlten, um aus dem Haus zu gehen, von den Dingen erzählten, die sie

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