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Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin

Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin

Titel: Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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gesehen hatten -von einem merkwürdigen, unheimlich stillen London voller versiegelter und verlassener Häuser, das scheinbar nur von Pestkranken bevölkert war.
    Als ich an diesem Abend ins Bett ging, war ich sehr beunruhigt, weil ich Abby nicht gesprochen hatte, und Sarah sagte, ich solle am nächsten Tag gleich in der Frühe wieder hingehen.
    Am Morgen stand Mr. Newbery vor seiner Ladentür und erzählte den frühen Passanten, dass in der vergangenen Woche in London viereinhalbtausend Menschen an der Pest gestorben seien. Außerdem gab er eine Geschichte zum Besten, die er gehört hatte, über einen der Pestkranken, der gestern Abend spazieren gegangen und genau vor der Kirche von St. Saviour tot umgefallen war.
    »Es war ein ungepflegter alter Mann voller Läuse«, sagte er, »und als er zu Boden sank, warfen ihn die, die hinter ihm hergingen, über die Mauer in den Kirchhof. Sie hoben ihn einfach hoch und schleuderten ihn hinüber wie ein Reisigbündel!«
    Ich gab überraschte und angewiderte Geräusche von mir.
    »Immerhin hat das dem Karren einen Weg erspart!«, sagte Mr. Newbery und kratzte sich den dicken Bauch. »Aber was habt Ihr denn an diesem heißen Morgen zu so früher Stunde vor?«, fragte er, und ich erzählte ihm wahrheitsgemäß, dass ich meine Freundin Abby besuchen wolle, die in einem kürzlich versiegelten Haus lebe.
    Er wich vor mir zurück, warf mir einen verängstigten Blick zu und bekreuzigte sich. »Die Eingesperrten sind Futter für die Karren«, sagte er. »Eure Freundin wird bestimmt nicht alt!«
    Ich wollte ihm eine schlagfertige Antwort geben, weil das, wie ich herausgefunden hatte, die einzige Art war, mit Mr. Newbery umzugehen, doch zu meinem großen Entsetzen füllten sich meine Augen mit Tränen. Wortlos wandte ich mich ab.
    An diesem Tag kam mir London ganz anders vor als sonst, vielleicht weil etwas geschehen war, das mich persönlich betraf. Die Sonne schien immer noch, doch es war, als habe sie der City die Farbe entzogen: Die Schilder an den Häusern funkelten nicht mehr, und die Menschen (die wenigen, die auf der Straße waren und die allesamt nicht die fröhlichen Farben trugen, die die Vornehmen auszeichneten) waren trübsinnig und schienen sich dahinzuschleppen. Sie gingen ihrer Beschäftigung mit gesenktem Blick nach, und von dem üblichen Lachen und Scherzen war nichts zu hören. Auch die Häuser waren menschenleer. Etliche hatten Kreuze an der Tür, und viele andere waren von ihren Eigentümern verlassen worden. Sie standen leer und leblos da, mit verrammelten Türen und Fenstern, und alles Wertvolle war herausgeräumt worden. Die Tiere fehlten mir ebenfalls: die grunzenden rosa Schweine, die kämpfenden Hunde und die leise umherschleichenden Katzen. Ihr kräftiger Bauernhofgeruch war verflogen und durch einen ungesunden, fauligen Gestank ersetzt worden, den Leute wie Doktor da Silva als Miasma bezeichneten: ein Übelkeit erregender, unsichtbarer Nebel, der aus den Friedhöfen aufstieg, die jetzt zum Bersten voll waren von verwesenden Körpern.
    Als ich an der Vorderseite von Abbys Haus ankam, erwartete mich ein schrecklicher Anblick, denn der Totenkarren stand vor der Eingangstür und die Fuhrmänner luden gerade ein großes Bündel auf. Natürlich schoss es mir durch den Kopf, dass es sich um Abby handeln könnte, denn obwohl der Stallbursche mir am Abend zuvor mitgeteilt hatte, dass sie kerngesund sei, hatte ich viele Geschichten von Leuten gehört, die von einem Tag zum anderen gestorben waren.
    Eine Weile blieb ich klopfenden Herzens im Schutz des gegenüberliegenden Hauses stehen, doch als mich der Umfang der Leiche überzeugt hatte, dass es nicht
    Abby sein konnte, ging ich um das Haus herum, um sie zu rufen.
    Mit dem Baby auf dem Arm, stand sie schon am Fenster des ersten Stocks und guckte hinaus. Als sie mich sah, nahm ihr Gesicht einen so dankbaren Ausdruck an, dass mir beinahe dieTränen kamen. Sie trug immer noch eine Blume hinter dem Ohr, doch die Blume verblasste langsam, und auch ihr Gesicht war blass. Ihr Kleid war zerknittert und fleckig.
    »Ich stehe seit Sonnenaufgang hier«, sagte sie. Als ich anfing, mich dafür zu entschuldigen, dass ich nicht früher gekommen war, fügte sie hinzu, dass sie nicht am Fenster stand, weil sie auf mich wartete. Sie wollte einfach, dass die kleine Grace so viel frische Luft wie möglich von draußen einatmete und nicht die verpestete Luft im Inneren des Hauses.
    »Ich habe den Karren draußen stehen sehen«, sagte ich.

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