Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
an meinen Kleidern gezerrt, wie es die Verrückten auf der Straße taten. Doch ich wagte es nicht, mich gehen zu lassen, weil noch viel vor uns lag, wenn ich Abbys letzten Wunsch erfüllen wollte. Ich schluckte sogar meine Tränen hinunter, in dem Wissen, dass ich mir meine Gefühle für später aufheben musste.
»Was ... Was ist mit dem Baby?«, fragte ich Tom und hatte große Angst. Wenn es auch tot war, war unsere ganze Mühe umsonst gewesen.
Tom verschwand und kehrte einen Augenblick später mit einem Bündel auf den Armen zurück. »Hier ist es«, sagte er und hielt Grace hoch. »Es hat geschlafen, doch jetzt lächelt es mich an.«
Bei diesen Worten fühlte ich, wie mir die Tränen kamen. »Geht es Grace gut?«, fragte ich ängstlich.
Tom sah sie sich genau an. »Sie sieht gut aus«, sagte er. »Ich kenne mich mit Babys zwar nicht aus, aber ihre Augen sind klar, sie sieht wohlgenährt aus und hat rosige Wangen.«
»Bringst du sie uns jetzt?«, fragte Sarah leise.
»Ich sollte vielleicht nicht riskieren, dass mich der Wächter sieht«, sagte Tom. »Wir müssen...«
Mit einem Mal fiel mir der Korb wieder ein, und ich fragte, ob er in der Nähe sei. »Er hing an einer
Schnur«, sagte ich, »die Vorräte wurden darin hochgezogen.«
»Hier ist er«, sagte Tom und bückte sich, um ihn aufzuheben. »Und ich glaube, er passt genau.«
»Dann zieh sie jetzt aus, Tom«, sagte Sarah. »Wir haben ein frisches Laken als Wickel für sie mitgebracht.«
Tom verschwand für eine kurze Weile, und solange er außer Sichtweite war, bestanden meine Gedanken und Gefühle einzig und allein aus Furcht. Dann tauchte er wieder auf, die nackte Grace im Korb. Er hob den Korb hoch und prüfte das Seil, an dem er hing. Sarah und ich stellten uns mit ausgestreckten Armen hin und warteten, bis er das kostbare Bündel vorsichtig zu Boden gelassen hatte.
Ich nahm die kleine Grace aus dem Korb - mit ihren pummeligen rosa Gliedmaßen und dem feinen Haarschopf wirkte sie wirklich gesund. Als wir sie in das saubere Laken wickelten, das wir mitgebracht hatten, sah sie so niedlich und unschuldig aus, dass Sarah und ich beide anfingen zu weinen, weil es ein trauriges Los war, so jung und schon Waise zu sein.
Tom, der uns von oben zusah, fragte uns erschrocken, was los sei. »Habt ihr etwa einen Fleck an ihr entdeckt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Wir weinen nur, weil...«, setzte ich an. Doch ich merkte, dass ich ihm nicht erklären konnte, was der Grund war.
»Weil der Anlass so traurig ist«, ergänzte Sarah mit einem Seufzer.
Tom sagte, er sei sehr erleichtert, dass es Grace gut ging und sie keine Pestflecken hatte, und dann teilte er uns mit, dass er Abbys Körper von den Treppenstufen nehmen wolle, weil er es nicht übers Herz brachte, sie an Ort und Stelle liegen zu lassen. Er verschwand, um das zu tun, doch zu unserem großen Schrecken hörten wir einen Augenblick später jemanden im Haus rufen, und das Gesicht des Wächters tauchte am Fenster auf.
»Was treibt ihr hier für einen Unfug?«, schrie er. Und dann sah er den Korb und das Seil und Grace in meinen Armen und fing an, uns anzubrüllen, dass wir damit aufhören sollen und er die Friedensrichter rufen und uns wie gemeine Diebe und Entführer einsperren lassen würde.
Wir waren fürchterlich verwirrt und wussten nicht, was wir jetzt am besten tun sollten. Ich fand, dass wir nicht einfach gehen und Tom in dem pestverseuchten Haus zurücklassen konnten, denn dann würde herauskommen, dass er etwas mit der Entführung der kleinen Grace zu tun hatte.
Doch Sarah hob unsere Bündel auf und zog mich am Arm. »Wir müssen los! Wenn wir fliehen wollen, müssen wir jetzt weg!«
Und ich wusste, dass sie Recht hatte. Ich hielt das Baby fest im Arm und rannte mit Sarah zusammen zu unserer Kutsche, wo Mr. Carter immer noch auf dem Kutschbock saß. Sarah öffnete die Tür, stieg ein und wandte sich dann zu mir um, um mir Grace abzunehmen.
Keuchend und zitternd vor Angst übergab ich ihr das Baby. Dann stieg ich selbst hinterher und rief Mr. Carter zu, er solle so schnell wie möglich losfahren.
Als wir anfuhren und die Kutsche in die Straße einbog, nahm ich aus dem Augenwinkel eine rasche Bewegung wahr. Es war Tom, der aus dem Haus schoss, die Straße überquerte und genau in dem Moment bei der Ecke ankam, als unsere Pferde an ihm vorbeigaloppierten.
Uns blieb gerade noch genügend Zeit, uns schnell eine Kusshand zuzuwerfen.
Ich beugte mich auf meinem Sitz vor, um Tom so lange wie
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