Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
weißer Wollschal für Grace, eine Weinflasche, eine Reisedecke sowie Kissen für Sarah und mich, Glacehandschuhe, eine Laterne und ein paar andere Kleinigkeiten, die uns die Reise möglichst angenehm gestalten sollten.
Ich ging wieder zu Sarah in den Hof. Innerhalb kürzester Zeit wurden zwei Pferde aus den Ställen geführt, und ein Stallbursche rollte eine kleine blau lackierte Kutsche mit einem Wappen auf der Tür aus der Remise. Ein Junge lief in aller Eile über den Hof und kehrte einen Augenblick später mit einem kräftigen, glatzköpfigen Mann zurück, der etwa fünfzig Jahre alt war. Dieser verbeugte sich und stellte sich uns als Mr. Carter, Kutscher von Lady Jane, vor.
Sarah sagte ihm mit hoch erhobenem Kopf, dass sie Mrs. Beauchurch sei.
»In der Tat«, antwortete er mit einem kleinen Augenzwinkern. »Und Ihr habt Euch seit Eurem letzten Besuch in Dorchester auch kaum verändert.«
Bei diesen Worten neigte Sarah den Kopf, und es gelang ihr ganz hervorragend, sich nichts anmerken zu lassen.
»Ich habe Euch erwartet und werde für die Dauer der Reise Euer Kutscher und Beschützer sein«, sagte Mr. Carter. »Die Strecke ist schon festgelegt, und Eure Aufenthalte sind bereits vorgesehen. Ich hoffe nur, dass Ihr die Reise nicht allzu beschwerlich finden werdet.«
Sarah, ganz in der Rolle der huldvollen Lady, lächelte zum Dank. »Wir freuen uns schon darauf«, sagte sie, zögerte und fügte dann hinzu: »Wenn hier alles so weit ist, muss ich noch einmal zum Haus Belle Vue, um mein Kind zu holen. Es ist nicht sehr weit weg.«
»Ich stehe zu Euren Diensten«, murmelte Mr. Carter.
Als die Pferde angespannt und reisefertig waren, schwebte ich noch immer in großer Angst um Abby. Das hinderte mich jedoch nicht daran, mich zu wundern, wie glatt alles lief. Sarah erklärte mir gelassen, dass das alles mit Geld zu tun habe, und dass man alles, jeden beliebigen Dienst, bekommen könne, wenn man nur bereit sei, genug dafür zu bezahlen.
Wir waren sehr aufgeregt, kamen uns aber auch sehr vornehm vor, weil keine von uns je zuvor in einer Kutsche gesessen hatte. Sarah dirigierte Mr. Carter zum Haus Belle Vue, und als wir näher kamen, bat sie ihn, anzuhalten, kurz bevor wir in Sichtweite des Anwesens wären. Wir hatten beide große Angst, vom Wachposten gesehen zu werden, und Sarah meinte, dass er uns bestimmt alle in das Haus einsperren und die Friedensrichter benachrichtigen würde, wenn herauskäme, dass wir ein Kind aus einem versiegelten Haus entwenden wollten.
Als wir abgestiegen und hinter das Haus gegangen waren, stellte sich heraus, dass es Tom nicht gelungen war, Abby herbeizurufen. Er schlug vor, selbst hineinzugehen. »Denn was ist selbstverständlicher, als dass ein Apotheker nach seiner Patientin schaut?«, sagte er und wies auf seine Tasche. »Doktor da Silva tut das die ganze Zeit.«
»Ich glaube nicht, dass du gehen solltest«, sagte ich besorgt. Am liebsten hätte ich ihn angefleht, dieses
Risiko nicht einzugehen, doch andererseits hatte ich keine Ahnung, wie wir die kleine Grace sonst aus dem Haus bekommen sollten.
Tom nahm meine Hand in die seine. »Es ist nichts dabei, Pestkranke sehe ich tagtäglich. Wünsch mir einfach alles Gute und warte hier auf mich.«
»Sei vorsichtig« war alles, was ich darauf sagen konnte. Ich wusste zwar, dass diese Worte völlig unpassend waren, aber ich war so von Furcht erfüllt, dass mir keine anderen einfielen.
Sarah und ich warteten, während Tom zur Vorderseite des Hauses ging. Ich weiß nicht, was er erzählte, doch wenige Augenblicke später tauchte sein Gesicht am Fenster im ersten Stock auf, zu dem wir so lange hochgerufen hatten.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich atemlos. »Hast du Abby gefunden?«
Er gab keine Antwort, und ich fragte ihn nochmals, obwohl ich tief im Herzen wusste, was er gleich sagen würde.
»Ich habe sie gefunden«, sagte er ernst.
Sarah nahm meine Hand und hielt sie fest.
»Sie liegt hier auf den Stufen«, fuhr er fort, »aber ich glaube nicht, dass sie sehr gelitten hat, Hannah, denn es liegt ein hoffnungsvoller Ausdruck auf ihrem Gesicht.«
»Ihre Hoffnung war, dass du zurückkommen würdest«, sagte Sarah und sah mich voll Mitleid an. »Bestimmt hat sie nach dir Ausschau gehalten.«
Abby war also tot.
Tot. Das Wort schien mir kalt und grausam, und bei der Vorstellung, dass meine allerbeste Freundin jetzt nichts weiter war als ein Haufen verwesendes Fleisch, hätte ich am liebsten laut geschrien, geschluchzt und
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