Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
möglich sehen zu können, und sah darum auch, wie der Wächter aus dem Haus stürzte und unserer Kutsche hinterherstarrte. Tom rannte ebenfalls los, und es sah so aus, als zögere der Wächter, wen von beiden er verfolgen solle. Er entschied sich für uns und lief uns, eine Glocke läutend und laut rufend, mitten auf der Straße hinterher.
Das beunruhigte uns jedoch nicht über die Maßen, denn innerhalb kürzester Zeit waren die Pferde in vollem Galopp, und wir ließen den Wächter hinter uns. Nun kamen wir in hohem Tempo voran und holperten und polterten über die unebenen Pflastersteine. Um sitzen bleiben zu können, mussten wir uns weit zurücklehnen und mit unseren Beinen abstützen. Wir saßen einander gegenüber und warfen uns ebenso aufgeregte wie ängstliche Blicke zu.
»Zieh die Vorhänge zu«, sagte Sarah. »Eine Lady und ihre Magd würden es nicht zulassen, dass das gemeine Volk sie sehen kann.«
Das tat ich, und dann bat ich Sarah, mich Grace halten zu lassen. Lächelnd stritten wir uns darum, wer sich um sie kümmern durfte, doch Sarah gab schließlich zu, dass es normaler wirkte, wenn das Baby von der Magd und nicht von der Lady versorgt wurde, und überreichte sie mir. Grace war still, denn sie war vom Holpern der Kutsche schon wieder schläfrig geworden.
In rüttelndem Galopp fuhren wir durch die Straßen, bogen um Ecken und wanden uns durch enge Gassen. Später fanden wir heraus, dass Mr. Carter einen komplizierten Umweg gemacht hatte, für den Fall, dass es dem Wachposten irgendwie gelänge, uns zu folgen. Durch einen kleinen Spalt im Vorhang sah ich, dass nur wenige Menschen auf der Straße waren. Keiner von ihnen schenkte uns besondere Aufmerksamkeit, denn die Leute blieben jetzt so viel wie möglich im Haus und gingen nur auf die Straße, um schnell die Lebensmittel zu kaufen, die sie zum Überleben brauchten. Nach ein paar Minuten schneller, holpriger Fahrt hörten wir, wie Mr. Carter den Pferden etwas zurief und sie zügelte. Sie fielen in Schritttempo.
Sarah zog den Vorhang zur Seite. »Mr. Carter«, sagte sie. »Könnt Ihr die Geschwindigkeit nicht halten ?«
»Das kann ich tun, Madam«, sagte er, »aber wir nähern uns dem Tor der London Bridge, und ich glaube nicht, dass es ratsam wäre, in einem halsbrecherischen Tempo dort vorzufahren.«
»Nein, in der Tat!«, pflichtete ihm Sarah schnell bei und ließ sich wieder auf ihren Sitz sinken. Wir warfen uns ängstliche Blicke zu und versuchten uns, so gut wir konnten, in die Gewalt zu bekommen.
Nach einer Weile hörten wir Mr. Carter ein lautes »Brrr« rufen, und die Kutsche kam zum Stillstand.
»Bleib ganz ruhig, Hannah«, ermahnte mich Sarah. »Denk daran, dass alles davon abhängt, dass man uns tatsächlich für diejenigen hält, die auf den Gesundheitsbescheinigungen genannt werden.«
Ich nickte, konnte jedoch nicht antworten, weil meine Kehle wie zugeschnürt war. Ich streckte einen Finger aus, strich Grace über die Wange und betete darum, dass alles gut gehen würde.
Mr. Carter wurde von einer rauen Stimme begrüßt, und jemand fragte ihn, was er hier wolle. Wir hörten ihn antworten, er bringe eine Dame von hoher Geburt zu ihrer Schwester aufs Land. »Und weil sie ein Neugeborenes bei sich hat, möchte ich möglichst bald dort sein und schnell weiterfahren.«
Hierauf wurde der Vorhang zur Seite geschoben, und ein zerzauster, bärtiger Bursche betrachtete uns neugierig. Er hatte eine Donnerbüchse in der Hand und sah nicht so aus, als ob er zögern würde, davon Gebrauch zu machen.
»Euer Name?«, fragte er grob.
»Ich bin Mistress Beauchurch«, entgegnete Sarah überheblich, »meine neugeborene Tochter ist Grace Beauchurch und meine Magd hier Abigail Palmer.«
»Eure Reiseerlaubnisse?«, fragte der Mann, und Sarah zog die Bescheinigungen aus der Segeltuchtasche und reichte sie ihm.
»Ist keine für das Kind da?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Es ist noch neugeboren. Man hat uns gesagt, es brauche keine.«
Seine kräftige Hand zog die Decke weg, unter der Grace lag, und er beäugte sie stirnrunzelnd. Ich war dankbar, dass Grace so klein war für ihr Alter und dass dieser Kerl offensichtlich keine Ahnung von der Größe eines Neugeborenen hatte.
Er verlor das Interesse an dem Kind, wendete sich unseren Gesundheitsbescheinigungen zu und hielt sie gegen das Licht. »Es hat Fälschungen gegeben«, sagte er.
»Das sind ganz bestimmt keine Fälschungen, Sir John hat sie selbst in meiner Anwesenheit unterzeichnet«,
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