Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
antwortete Sarah schlagfertig.
Der Bursche spuckte darauf und rieb dann mit seinen schmutzigen Fingern über die Unterschrift, bis die Tinte völlig verschmiert war. Er warf sie Sarah zu und sah sie dann von oben bis unten an.
»Und Ihr seid also Mistress Beauchurch?«
»Die bin ich«, sagte Sarah.
Ihre Stimme klang wie die einer echten Adligen, und ich sah sie voll Bewunderung an.
»Die erste Lady mit Schwielen an den Händen, die mir unterkommt«, sagte der Mann. »Sieht eher so aus, als wärt Ihr für die Waschküche zuständig gewesen.«
Sarah sah ihn von oben herab an. »Guter Mann«, sagte sie, »die Pest grassiert, und die meisten meiner Diener sind geflüchtet. Eine Lady muss lernen, für sich selbst zu sorgen - und abgesehen davon vertraue ich niemandem, was mein kostbares Kind angeht. Ich bade es selbst und sorge für sein Wohlergehen.«
Der Mann lachte bitter. »Ach ja, richtig. Die Pest ist ganz groß darin, alle Menschen gleichzumachen. Heutzutage muss sich selbst eine vornehme Lady vor den Waschzuber hocken.«
Doch er gab den Weg immer noch nicht frei, sondern sah uns mit zusammengekniffenen Augen an. Ich bekam große Angst und spürte, wie mir langsam der Schweiß den Rücken hinunterlief.
Er trat dicht an das Fenster der Kutsche heran. »Was würdet Ihr geben, um aus London herauszukommen?«, fragte er.
»Ich ... Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht«, sagte Sarah.
»Wie viel ist es Euch wert, Lady?«
»Wie könnt Ihr es wagen!«, sagte Sarah bebend. »Für solch eine Unverschämtheit sollte ich Euch prügeln lassen.«
»Dann ruft doch den anderen Wachposten, wenn Ihr Euch traut«, gab der Kerl gelassen zurück. »Es würde ihn bestimmt sehr interessieren, jemanden wie
Euch zu sehen - jemanden, der nur vorgibt, eine feine Dame zu sein. Es gibt sehr strenge Gesetze gegen das, was Ihr da tut.«
Sarah erstarrte, und ich konnte einen Schreckensschrei nicht unterdrücken. Wusste er wirklich etwas, oder versuchte er nur sein Glück?
»Wenn Ihr mir allerdings die Hand füttern würdet ...«
»Wie bitte?«, stammelte Sarah.
»Er will Geld!«, bellte Mr. Carter von seinem Kutschbock herab. »Gebt ihm, was Ihr habt, und lasst uns losfahren.«
Sarah zuckte zusammen, doch dann wühlte sie in der Segeltuchtasche nach dem kleinen Beutel voller Goldmünzen, den wir bekommen hatten. Sie nahm drei davon heraus und warf sie dem Mann zu.
Er sah von den Münzen zu uns und machte einen sehr erstaunten Eindruck, rührte sich jedoch noch immer nicht von der Stelle. In Panik, weil ich nicht wusste, ob wir ihm genug gegeben hatten oder nicht, entriss ich Sarah den Beutel und drückte ihm zwei weitere Goldengel in die Hand.
»Fahrt weiter!«, rief ich Mr. Carter zu.
Als dieser die Peitsche knallen ließ, taumelte der Bursche aus dem Weg und starrte dabei auf die Goldmünzen in seiner Hand, als seien sie vom Himmel gefallene Sterne.
»Wir haben ihm viel zu viel gegeben!«, sagte Sarah, als wir über die London Bridge galoppierten.
»Das macht nichts!«, sagte ich. »Jetzt sind wir unterwegs.«
Ich lehnte mich vor und zog die Vorhänge ein Stück auf, so dass ich hinausschauen konnte. Wir überquerten gerade die London Bridge - dieselbe Brücke, der ich mich noch vor wenigen Monaten voll freudiger Erwartung genähert hatte. Die Köpfe der Verräter steckten immer noch auf den Pfählen über dem Torbogen. Hinzugekommen war jedoch der trostlose Anblick einer kürzlich aufgehängten Leiche: Es war die eines Mannes, der Hand an sich gelegt hatte - ohne Frage, weil er die Krankheit bekommen hatte und daran verzweifelt war.
Wie naiv ich gewesen war, als ich hier ankam. Inzwischen hatte ich gelernt, dass ich mich in London nicht nur vor Mördern und anderen Bösewichtern in Acht nehmen musste, sondern vor etwas viel Tödlicherem, etwas Unsichtbarem und alles in allem viel Schrecklicherem.
Ich sah auf das kleine Gesicht von Grace hinunter und atmete erleichtert auf. Sie musste überleben, denn ihr Überleben war alles, was ich für meine Freundin Abby tun konnte.
Abby. Meine Freundin. An sie würde ich später denken, und ich würde aufrichtig versuchen, mich an das heitere, fröhliche Mädchen zu erinnern, das meine liebe Gefährtin gewesen war, und nicht an den Mitleid erregenden Schatten ihrer selbst, den ich zuletzt am Fenster gesehen hatte.
Trost suchend, lehnte ich mich an Sarah, und ihr Kopf neigte sich zu meinem. Jetzt lag London hinter uns, und ich hatte das Gefühl, wir würden nach Dorchester
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