Zuckermacher 02 - Aschenblüten
Erfrischung.
»Sollen wir uns diese Darbietung ansehen?«, fragte Anne. »Was steht da geschrieben?«
Ich las den gedruckten Hinweis vor: »Im Zelt sitzt ein sechzehn Jahre altes Mädchen, das nicht größer ist als achtzehn Zoll. Es kann zauberhaft lesen, singen und pfeifen. Dieses wunderbare Geschöpf darf man sich für den Betrag von zwei Pence ansehen.«
»Oh! Lass uns hineingehen!«, sagte Anne.
Ich schüttelte den Kopf. »Es muss ein Trick sein«, sagte ich und versuchte am Vorhang vorbeizuspähen, um zu sehen, was im Zelt war. »Es kann kein echter Mensch sein.«
»Ein quicklebendiges Mädchen!«, schrie der Schausteller, als er unser Interesse bemerkte. »Kommt nur herein und seht selbst. Und Damen dürfen dieses Geschöpf sogar nur im Hemd sehen.«
Doch Anne betrachtete inzwischen die Segeltuchbude nebenan, die so angemalt war, dass sie wie ein Pferdestall aussah, und aus der tatsächlich ein echtes Pferd hinter dem Vorhang an der Tür herausschaute. »Was hier wohl passiert?«, fragte sie mich.
»Die Stute, die Geld zählt«, las ich vor. »Tretet ein und seht Euch dieses Tier an, das so schlau ist wie ein Mensch. Es kann zählen, erteilt kluge Ratschläge zu Geldanlagen und vermittelt Wissen.«
»Das kann nicht sein!«, sagte Anne.
»Nein, das kann nicht sein«, sagte ich lachend.
»Kommt und seht Euch das Pferd an, das zählen kann!«, rief der Schausteller aus. »Weisheit, die wahrhaftig aus einem Pferdemaul kommt!«
Wir gingen weiter, und Anne rückte näher zu mir, als drei angekettete Verrückte an uns vorbeikamen, die etwas vor sich hin brabbelten und mit einem Bären tanzten, der Fußschellen trug. Ein Mann ging neben ihnen her und hielt ein Schild, auf dem stand, dass sie für heute aus dem Bethlehem-Hospital, einem Irrenhaus, herausgelassen worden waren und zur Verfügung standen, um die Häuser derer von Stand aufzusuchen und sie und ihre Gäste gegen ein geringes Entgelt zu unterhalten.
Auf der Suche nach der einzigen Darbietung, die ich wirklich sehen wollte, lenkte ich meine Blicke im Gehen Überallhin - zwischen den Buden hindurch und Über die Köpfe der Leute hinweg. Würde Graf de'Ath heute auf dem Bartholomäus-Jahrmarkt sein?
Ein Mann kam vorbei, auf dem insgesamt wohl sechs oder sieben Affen saßen, und ein anderer hatte sich einen großen Tierkopf aufgesetzt und trug ein Schild bei sich, auf dem stand, dass wir alle Reue für unsere Sünden empfinden sollten, weil dieses Jahr das des Tieres sei und das Jüngste Gericht unmittelbar bevorstehe.
Anne wies auf ein großes Zelt, vor dem ein Schild angebracht war. »B... beste Sch... Schau«, las sie stockend vor. Ihre Lese-und Schreibfähigkeiten wurden langsam besser, weil ich mit ihr geübt hatte.
»... auf dem ganzen Jahrmarkt«, fuhr ich fort. »Eine wunderbare Seltsamkeit. Ein Mann mit einem Kopf und zwei Körpern, beide männlich, der erst kürzlich aus dem Land der Moguln hergeholt wurde. Bei ihm ist sein Bruder, der knielange Haare hat.«
»Ich glaube nicht, dass ich das sehen möchte«, sagte Anne. »Lieber würde ich mir das kleine Geschöpf ansehen, das so groß ist wie eine Blume.«
»Und was hältst du hiervon?«, fragte ich und las ihr vor, was an der Bude nebenan angeschlagen stand: »Ein Tableau, das kürzlich aus Russland gekommen ist, mit merkwürdig konservierten Menschen, die verzaubert
sind und zwischen Leben und Tod schweben. Ihr dürft diese Leute so viel berühren und so lange untersuchen, wie Ihr wollt, ohne extra dafür bezahlen zu müssen.«
Anne schnappte nach Luft. »Das möchte ich sehen!«
Die anderen Darbietungen waren ähnlich: tanzende Affen, ein Tamburin spielender Hund, ein Mann, der doppelt so groß war wie eine Lincolnshire-Färse, ein Hase, der einen Moriskentanz aufführte, eine Frau mit einem erstaunlichen Bart. Doch den Grafen und sein magisches Kabinett konnte ich nirgends entdecken.
Nach langem Hin und Her beschlossen wir, in die Bude mit dem russischen Tableau zu gehen, weil wir dort, wie Anne sagte, mehrere Leute für den Preis von einem zu sehen bekommen würden. Wir bezahlten, traten hinter den Vorhang und sahen eine seltsame Szene, die mich so erschreckte, dass ich schon kehrtmachen wollte, da ich glaubte, wir hätten den falschen Weg genommen und wären aus Versehen im Salon irgendeiner Dame gelandet.
In dem Zelt stand ein langes gepolstertes Sofa, auf dem drei Leute saßen: zwei Frauen und ein Mann. Alle drei waren in prachtvolle Samt-und Satinstoffe gekleidet und
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