Zuckermacher 02 - Aschenblüten
ebenfalls Zuckerwerk, und wir erstanden zwei Zitronenschnitze und freuten uns, als wir feststellten, dass sie schlechter waren als unsere und ziemlich weich und alt aussahen. Sie schmeckten auch nicht so saftig, und so kamen wir zu dem Schluss, dass sie unmöglich sechs
Tage hintereinander abwechselnd gezogen haben und in kochend heißes Zuckerwasser getaucht worden sein konnten, wie wir es taten, sondern auf eine schnellere, aber nicht so sorgfältige Art hergestellt worden waren.
Danach gingen Leute um, die Moritatenblätter und Flugschriften verkauften und Tafeln hochhielten, auf denen stand, welche Vorstellungen nächste Woche gegeben werden würden. In der Pause gab es noch mehr Darbietungen auf der Bühne, doch die von Graf deAth war nicht dabei.
Einen Augenblick nachdem das Theaterstück wieder begonnen hatte, ertönten ein Bellen und andere Geräusche aus der königlichen Loge Über uns, und ein erwartungsvolles Raunen ging durch das ganze Theater. Das Bellen, so hieß es, kam von einer Meute Spaniel, was bedeutete, dass der König im Theater angekommen sein musste.
Als wir das hörten, waren Anne und ich sehr aufgeregt.
»Schon wieder der König!«, sagte Anne, weil wir oft davon sprachen, dass wir ihn im königlichen Boot gesehen hatten, wohingegen weder unsere Mutter noch unser Vater oder unsere Brüder ihn je gesehen hatten, und die Chancen gering waren, dass sie ihn je sehen würden. »Heute ist der schönste Tag meines Lebens!«, fügte sie hinzu und griff nach meiner Hand. »Heute Nacht kann ich vor lauter Aufregung bestimmt nicht schlafen.«
Jetzt guckte niemand mehr auf die Bühne, sondern alle Blicke waren auf die königliche Loge gerichtet und sogar Nelly musste hinter Seiner Königlichen Hoheit zurückstehen. Es verbreitete sich schnell im Theater, wie der König gekleidet war, in welcher Verfassung er war und welche Geliebte ihn begleitete, und Anne und ich fielen beinahe von unseren Sitzen bei dem Versuch, unsere Köpfe zu verrenken, um das alles mit eigenen Augen zu sehen. Doch leider war die königliche Loge zum Bersten voll mit Höflingen und adligen Damen, die um Seine Königliche Hoheit herumschwirrten und ihn den Blicken entzogen, so dass wir nur gelegentlich einen Blick auf hoch aufgetürmtes lockiges Haar, farbenfrohe Kleidung und wedelnde Federfächer erhaschen konnten. Wir konnten nicht einmal erkennen, welcher seiner Geliebten der König heute den Vorzug gab, doch jemand vor uns sagte, es sei nicht Barbara Castlemaine, sondern ein Mädchen namens Mall Davis, das erst sechzehn Jahre alt war.
Als die Vorstellung zu Ende war und der König gegangen, wollte Anne unbedingt hinter die Bühne gehen und sich unter die Galane und Gecken mischen, die sich dort versammelten, um einen Blick auf Nelly zu erhaschen. Ich war einverstanden, aber nur, weil ich mir vorgenommen hatte, ein paar Worte mit Graf deAth zu wechseln.
Die Menschenmenge vor dem Bühnenausgang begann gerade, nach Nelly zu rufen, als der Graf herauskam und versuchte, sich hindurchzuzwängen. Er trug den weiten Umhang, den er auch auf der Bühne getragen hatte, und einen schwarzen Samthut mit purpurrotem Futter.
»Graf de'Ath!«, rief ich ihm zu, und als er sich umdrehte, sagte ich schnell: »Könnt Ihr mir sagen, wo der junge Mann in Eurem Kabinett hin ist?«
Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Habt Ihr denn nicht aufgepasst, was ich gesagt habe? Er hat ein neues Leben angefangen, Mamsell. Ein besseres Leben.«
»Kann ich denn auch dorthin gehen?«, platzte ich heraus, und Anne starrte mich entgeistert an und schnappte nach Luft.
»Nur, wenn Ihr in mein Kabinett steigt. Kommt zum Bartholomäus-Jahrmarkt!«, sagte er und verschwand dann in der Menschenmenge.
»Warum hast du das gesagt?«, fragte Anne erstaunt. »Was hast du vor?«
»Ich habe es nicht so gemeint«, sagte ich. »Ich habe es nur so dahingesagt. Es war ein Scherz.«
Natürlich war es ein Scherz. Außerdem war es nicht Tom gewesen, der auf der Bühne gestanden hatte und durch einen Zauber an einen anderen Ort befördert worden war. Welche Beschwörungen Graf de'Ath auch beherrschen mochte, er war keinesfalls in der Lage, einen Toten zu beschwören.
Doch das hinderte mich nicht daran, mir diese Möglichkeit auszumalen, und als ich an diesem Abend einschlief, kam ich nicht umhin mir vorzustellen, wie furchtbar es wäre, wenn Tom die Pest irgendwie Überlebt hatte, nur um vor meiner Nase im Kabinett von Graf de'Ath weggezaubert zu werden und
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