Zuckermacher 02 - Aschenblüten
mich daran zu erinnern, was ich in dem Almanach in Highclear House Über 1666, das Jahr des Tieres, gelesen hatte, in dem ein läuterndes Feuer herabgesandt werden würde. Und ich dachte daran, dass ich gesagt hatte, in London sei es so sicher wie in Mut-ters Schoß...
Als wir zu den Stadtmauern gelangten, stellte sich heraus, dass die Straßen Überall in der Umgebung und besonders dort, wo ein Stadttor war, voller Karren, Kutschen, Sänften, Pferde und Fußgänger waren, die alle schwer beladen waren und sich drängelten, um aus der Stadt herauszukommen, und darum kamen wir nicht richtig voran. Die Lage wurde dadurch verschlimmert, dass eine Menge Leute darum kämpften, in die Stadt hineinzugelangen : diejenigen, die ihre Familie suchten oder die Dinge aus ihrem Haus retten wollten, sowie Träger, Arbeiter und Fuhrleute - alle, die Über ein Transportmittel auf Rädern verfügten, weil man, wie wir vernommen hatten, mit der Beförderung von Möbeln und sonstigen Habseligkeiten eine
Menge Geld verdienen konnte. In Cripplegate stießen wir, ebenso wie in Moorgate und in Bishopsgate, auf Verwirrung und Unfälle und kämpfende Menschenmengen, und schließlich beschlossen wir (nachdem wir gesehen hatten, wie das Pferd einer Familie gefallen war und sich auf einem Haufen zurückgelassener Möbel die Beine gebrochen hatte und wie eine arme Katze mit brennendem Fell um ihr Leben rannte), zur Kirche von All Hallows zu gehen und dort auf den Turm zu steigen.
Wir standen dort zwar hin und wieder inmitten von Rauchschwaden, doch wir hatten einen Blick, der recht erschreckend war, weil man das Ausmaß des Feuers erkennen konnte. Das ganze nördliche Ufer der Themse stand in Flammen, von jenseits der Brücke zu unserer Linken bis zu dem klobigen Baynards-Schloss zu unserer Rechten. Als ich das sah, füllten sich meine Augen sofort mit Tränen, weil es völlig erschütternd war, diese Kais, Gassen, Durchgänge, Gebäude und Räume in Flammen oder in Staub und Asche zu sehen und sich vorzustellen, wie mitgenommen und ängstlich diejenigen sein mussten, die dort lebten und arbeiteten.
Anne und ich klammerten uns vollkommen sprachlos vor Schreck aneinander. Ich hatte nun mit eigenen Augen gesehen, was vorging, und konnte nicht in Worte fassen, wie furchtbar ich es fand, weil es wirklich so zu sein schien, wie Anne gesagt hatte: Das Ende der Welt stand bevor.
Als ich es schließlich schaffte, meine Augen vom Ufer der Themse abzuwenden, wurde mir klar, dass wir deshalb einen so guten Blick hatten, weil nur noch sehr wenige große Gebäude zwischen uns und dem Fluss standen. Kirchen waren abgebrannt oder brannten immer noch lichterloh, viele Zunfthäuser waren dem Erdboden gleichgemacht, ebenso wie die stattlichen Gebäude in Cornhill. Ich stieß einen Schrei aus - nicht einmal der prachtvolle Royal Exchange hatte standgehalten, denn ich wusste ganz genau, wo er gestanden hatte, und nun war er nicht mehr dort! Sofort fiel mir mein Ausflug zum Royal Exchange mit Abby ein: das weitläufige Marmorgebäude mit den stattlichen Säulen und vornehmen Standbildern, mit den fröhlich gekleideten Galanen und den piekfeinen Damen, die in den Höfen miteinander schwatzten, mit den makellosen kleinen Geschäften mit ihrer feinen, seltenen Ware - alles war weg!
Doch das alles war nichts gegen das, was Anne mir dann zeigte. Sie schrie plötzlich auf, verbarg ihr Gesicht an meiner Schulter und wies mit zitternder Hand auf das Zentrum des Feuers. Dort konnte man eine Feuerwand sehen, die gut fünfzig Fuß hoch war und in Windeseile an einer Häuserzeile von Ost nach West entlangraste. Während ich von Entsetzen gepackt zusah, steckte das Feuer auf seinem Weg ein Gebäude nach dem anderen in Brand. Es sah aus, als brächen unzählige kleine Vulkane aus, und gewaltige Funkenregen sprühten in alle Richtungen. Häuser aus Stein hielten länger stand, andere gingen - je nachdem, was darin gelagert wurde - sofort in Flammen auf und brannten lichterloh. Das rasende Feuer wurde erst aufgehalten, als es auf die graue Masse des Bridewell-Gefängnisses am Ufer des Fleet Rivers stieß, dagegen anstürmte und nicht weiterkonnte.
Solchermaßen gehindert, machte das Feuer kehrt und begann sich wie ein wildes Tier in einem Schrecken erregenden Wirbel von Hitze und Lärm langsam, aber sicher in Richtung Norden zu bewegen. Als es auf das stieß, was wohl einmal ein Lagerhaus für Gewürze und Pfeffer gewesen war, ertönte plötzlich ein leiser Knall, und dann
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