Zuckermond
wenn ich überhaupt heiraten will!“ „Was fällt dir ein?“, begann ihr Vater mit einem Mal so laut zu schreien, dass sein Kopf puterrot anlief und seine Halsschlagader gefährlich zu pochen begann. Helena wich zurück, als hätte er sie gerade geschlagen. Sie wusste, dass ihr Vater brüllen konnte, aber so laut und wutentbrannt wie gerade eben, hatte sie ihn noch nie erlebt. „Du undankbares Geschöpf. Noch hast du mich nicht richtig kennen gelernt, aber glaube mir, falls deine Mutter wegen dir krank werden sollte, wirst du ausreichend Gelegenheit dazu haben. Also gehorche gefälligst und beginne endlich deine Eltern zu respektieren.“ Er schlug mit der Faust auf den Kaminsims und stützte seine Frau, die gerade einen ihrer berüchtigten Schwächeanfälle bekam, während Helenas Großmutter sich immer noch hektisch Luft zufächelte und ihrer Enkeltochter empörte Blicke zuwarf. Helena zitterte innerlich wie Espenlaub, aber diesmal wollte sie nicht klein beigeben. Das hatte sie schon viel zu lange getan. Und ihre Mutter hatte sie auch schon viel zu oft mit ihren vermeintlichen Ohnmachtsattacken in die Knie gezwungen. Damit sollte nun ein für allemal Schluss sein! Sie straffte die Schultern und blickte ihren Vater fest an. Dem leidenden Blick ihrer Mutter wich sie geflissentlich aus, aus Angst, doch wieder schwach zu werden. „Ich habe durchaus Respekt vor euch, sonst würde ich jetzt nicht hier stehen und mit euch diskutieren, sondern würde einfach mein Leben leben. Aber Respekt zu haben bedeutet für mich nicht, dass ich mich deshalb aufgebe und einen Mann heirate, den ich nicht liebe. Und auch niemals lieben werde.“ Die Augen ihres Vaters sprühten Funken, während Helenas Mutter nervös mit ihren Augenlidern flatterte und mit gequälter Stimme leise nach einem Glas Wasser rief, welches ihr auch augenblicklich vom Hausmädchen gebracht wurde. Helena schüttelte gedanklich den Kopf. Mutter hätte eine gute Schauspielerin abgegeben. Eine Schande, dass ich das erst jetzt so deutlich erkenne. Die sonore Stimme ihres Vaters riss sie aus ihren Gedanken. „Da siehst du, was du angerichtet hast. Deine Mutter steht kurz vor einer Herzattacke. Sag, willst du etwa deine liebe Mutter auf dem Gewissen haben?“ Er hielt einen Moment inne, um seiner Frau dabei behilflich zu sein, das Glas Wasser an ihren Mund zu führen. Dann fuhr er herrisch fort: „Was hast du überhaupt an Lars von Lohe auszusetzen? Er ist ein ehrenhafter Mann, der fleißig für seinen Lebensunterhalt arbeitet und es schon jetzt sehr weit gebracht hat. Er könnte dir ein Leben bieten, wie es sich für eine Tochter aus dem Hause Denhoven gehört.“ „Ja, ja, ich weiß. Außerdem wird es aus eurer Sicht auch langsam mal Zeit für einen Stammhalter. Tut mir Leid, aber ich liebe ihn nicht!“ „Liebe!“ Ihr Vater spie das Wort förmlich aus. „Dir geht es also um Liebe. Willst du mir etwa erzählen, dass du diesen Prachtkerl nur aus dem Grund nicht heiraten willst, weil du ihn nicht liebst? So einen Blödsinn habe ich mir in meinem ganzen Leben noch nicht anhören müssen!“ „Es ist kein Blödsinn“, protestiere Helena und war mächtig stolz darauf, so tapfer durchzuhalten. „Es geht schließlich um meine Gefühle.“ „Man heiratet nicht aus Liebe. Man heiratet, um eine Familie zu gründen und gemeinsam durchs Leben zu gehen. Alles andere ist Blödsinn.“ „Ach, du hast Mutter also nicht geliebt, als du sie geheiratet hast? Ich dachte immer, du seiest schrecklich verliebt in sie gewesen. So verliebt, dass du sogar bereit warst, mit der Familientradition zu brechen und stattdessen eine Frau zu heiraten, die aus einer gescheiterten Ehe stammte, und die noch nicht einmal Geld in die Ehe brachte. Eine Frau, die einfach nur schön war.“ „Darum geht es jetzt nicht, Helena“, unterbrach ihr Vater sie mit einer abwehrenden Geste. „Wirklich nicht? Da irrst du dich aber gewaltig. Denn ich bin im Grunde meines Herzens viel zu sehr deine Tochter, um mich in eine Ehe zwingen zu lassen. Also, noch mal: Ich werde Lars von Lohe nicht heiraten.“ „Aber Kind, die Vorbereitungen sind doch schon alle getroffen“, ertönte da die Stimme ihrer Großmutter aus dem Hintergrund. „Was? Ihr habt schon Vorbereitungen für meine Hochzeit getroffen? Das geht nun aber wirklich zu weit.“ Helena kam innerlich ins Rotieren und überlegte krampfhaft, was sie darauf erwidern konnte. Es musste etwas sein, was ihre Familie aus der Fassung brachte. Und dann
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