Zuckermond
Helena blickten sich amüsiert an. „ Typisch Kathrin“, schienen ihre Blicke zu sagen. „Der ist wie gemacht für mich.“ Sie kramte in ihrer Handtasche, zog Lippenstift und Handspiegel hervor und begann sich die Lippen nachzuziehen. „Ich werde überall rote Male auf seinem Körper hinterlassen.“ Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, lächelte ihren Freundinnen abenteuerlustig zu und sagte beschwingt: „Macht ihr, was ihr wollt. Aber dieses Prachtexemplar lasse ich mir nicht entgehen.“ Mit einem entschlossenen Funkeln in den Augen stand sie auf, zupfte ihren Minirock zurecht und nahm Kurs auf das Opfer ihrer Begierde. Helena musste lachen. Die Vorstellung, wie Kathrin überall tiefrote Lippenstiftküsse auf dem Körper dieses nichts ahnenden Mannes hinterließ, amüsierte sie.
***
„Nein, Vater, ich heirate Lars von Lohe nicht. Und wenn du dich auf den Kopf stellst. Ich liebe diesen Menschen nicht und ihr könnt mich nicht zu einer Hochzeit mit jemandem zwingen, nur weil er euch in den Kram passt.“ Helenas Stimme klang – trotz ihres inneren Aufruhrs – klar und entschieden durch den eleganten Salon ihres Elternhauses, welches in einem edlen Villenviertel Frankfurts lag. Das Grauen, welches sie durchfuhr, wenn sie nur daran dachte, sich von Lars berühren zu lassen – geschweige denn das Leben mit ihm zu teilen – war weitaus größer als der allgegenwärtige Respekt vor Vater und Mutter.
Mit funkelnden Augen und vor Zorn geröteten Wangen stand sie vor ihren Eltern. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte trotzig mit dem Fuß aufgestampft. „Ich lasse mich nicht länger von euch einschüchtern.“ Energisch blickte sie den beiden in die Augen. Gar nicht mal so schlecht, Mädel. Die stundenlangen Gespräche mit Sabina und Kathrin scheinen tatsächlich ein wenig gewirkt zu haben. „Einschüchtern?“ Frederic Denhovens Gesicht nahm eine ungesunde Farbe an. „Ich verstehe immer nur einschüchtern.“ Er schnaubte vor Wut, während sich ihre Mutter die vermeintlichen Schweißperlen von der Stirn tupfte und ihre Großmutter sich dramatisch ans Herz griff. „Verdammt noch mal, ich bin dein Vater, Helena, und ich verbitte mir diesen impertinenten Ton. Und falls du es genau wissen willst, ich schüchtere dich nicht ein, sondern ich fordere nur das, was man von einer Tochter unseres Standes fordern kann. Nämlich Gehorsam und die Heirat mit einem wohl situierten Mann.“ „Oder willst du uns komplett ruinieren?“, mischte sich nun auch die kalte Stimme ihrer Mutter ein. „Wenn ich nur an diese dekadente Aufführung denke, die du uns am Tage deiner Ausstellung geboten hast. Zum Gespött der Leute hast du uns gemacht. Mir läuft es jetzt noch eisig den Rücken hinunter, wenn ich an diese billige Tanzeinlage denke. Als ob es nicht schon genug wäre, das du dir diesen nichtsnutzigen Beruf ausgewählt hast. Nein. Da schockst du deine dich liebenden Eltern – die dir zu Ehren extra vorbeigekommen sind – auch noch mit diesem langhaarigen Stripper.“ Das letzte Wort klang aus ihrem Mund, als würde sie über eine ansteckende Krankheit sprechen. „Es würde mich nicht wundern, wenn er Drogen nimmt – gar an der Spritze hängt. Und unsere Tochter mittendrin. Nicht auszudenken.“ Helena sah, wie ihre Großmutter sich schwer amtend Luft zufächerte und mit entsetzt aufgerissenen Augen nach ihrem Riechsalz griff. „Mein Enkelkind hat mit Drogensüchtigen zu tun. Mein Herz. Oh Gott, mein Herz.“ Dann ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, der in der Nähe stand, und klingelte nach dem Hausmädchen, um sich einen starken Kamillentee aufbrühen zu lassen. „Wir wünschen nicht, dass du dich mit derartigem Gesindel herumtreibst. Ist das etwa zu viel verlangt?“, polterte nun erneut ihr Vater. „Ich fordere …“ Nun stampfte Helena tatsächlich mit dem Fuß auf. „Habt ihr eigentlich auch noch etwas anderes für mich übrig, als ständig irgendetwas von mir zu fordern? Das ist es nämlich, was ich euch zum Vorwurf mache. Dass ihr ständig an mir herumzerrt und noch nicht einmal im Traum daran denkt, dass ich eine eigene Vorstellung von meinem Leben habe.“ Zum ersten Mal wurde sie ihren Eltern gegenüber richtig laut, was diese dermaßen in Erstaunen versetzte und verwirrte, dass sie zunächst nicht dazu in der Lage waren, ihr Einhalt zu gebieten. „Ihr habt kein Recht dazu, über mein Leben zu bestimmen. Ich bin erwachsen genug, um selbst zu entscheiden, wen ich heiraten möchte –
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