Zuckermond
hatte sie eine Idee. „Eigentlich wollte ich es euch schonend beibringen und auch erst dann, wenn ihr ihn näher kennen gelernt habt. Aber jetzt ist es mir auch egal, wie ihr es erfahrt. Ich habe meine große Liebe nämlich längst kennen gelernt. Er heißt Leonard und ist der Mann, der mein Herz erobert hat und mit dem ich den Rest meines Lebens teilen möchte!“ „Leonard? Du bist verliebt?“ Plötzlich war ihre Mutter wieder putzmunter. „Aber das ist ja fantastisch. Endlich wirst du erwachsen und tust etwas für deine Zukunft. Aus welcher Familie stammt er? Und was macht er beruflich? Ist er wohlhabend?“ Helena blickte in die überraschten Gesichter und musste innerlich grinsen. „Nun, er kommt sozusagen aus dem Dienstleistungsgewerbe. Und er ist verdammt gut darin.“ „Dienstleistungsgewerbe? Du wirst dir doch wohl um Himmels Willen keinen Kellner oder Busfahrer angelacht haben!“ Ihrem Vater war das Entsetzen förmlich anzusehen. „Oh nein, bitte kein Kellner! Sag, dass er kein niederer Kellner ist.“ Erneut war ihre Mutter einem Schwächeanfall nahe. Helena kicherte. „Keine Sorge. Er ist kein Kellner. Leonard ist viel kreativer.“ „Kreativer? Ist er etwa wie du freischaffender Künstler – statt einen vernünftigen Beruf auszuüben?“ „Als Künstler würde ich ihn nicht direkt bezeichnen. Er verdient sich den Lebensunterhalt mit seinem Körper. Und wisst ihr was? Ihr habt ihn sogar schon mal gesehen. Er war auf meiner Ausstellung und hat nur für mich getanzt.“ Sie strahlte ihre Eltern gespielt glücklich an. Helenas Mutter entfuhr ein spitzer Schrei. „Du willst doch nicht etwa… es kann doch nicht dein Ernst sein, dass… jetzt sag bloß nicht, dass du diesen Stripper meinst!“ Sie keuchte entsetzt, hob ihre linke Hand an die Stirn und sackte in die besorgten Arme ihres Gatten. „Du wirst dich augenblicklich von diesem Taugenichts trennen und Lars von Lohe heiraten. Das ist ein Befehl! Ansonsten bist du nicht mehr unsere Tochter.“ Helena stockte der Atem. Davor hatte sie immer Angst gehabt. Tapfer unterdrückte sie ein Aufschluchzen und blickte ihrem Vater fest in die Augen. „Wieso wollt ihr mich mit einem Mann verheiraten, den ich nicht liebe, ja noch nicht einmal schätze? Ihr denkt nur an euch und den ach so tollen Ruf der Familie Denhoven. Ich bin es leid. Okay, dann habt ihr ab heute eben keine Tochter mehr.“ Sie wandte sich um, um dieser angestaubten Atmosphäre zu entfliehen. Drehte sich dann aber noch einmal zu ihrer Familie. „Ich wünsche euch übrigens viel Spaß bei eurer Silberhochzeit. Ich werde nämlich nicht bleiben und von daher auch nicht anwesend sein.“ Und dann stürmte sie aus dem Salon. Sie rannte über den Korridor, in dem unzählige Ölbilder hingen, über die breite geschwungene Treppe nach oben. Die Doppeltür, die in ihr ehemaliges Jugendzimmer führte, welches sie immer dann bewohnte, wenn sie auf ein Wochenende zu Besuch war, flog krachend gegen die Wand und erst mitten in dem behaglichen, in Pastellfarben gehaltenen Raum mit dem französischen Bett blieb sie aufatmend stehen. Sie schnappte sich ihren leichten weichen Handkoffer, der Platz für alle Dinge bot, die sie brauchte, wenn sie für ein paar Tage unterwegs war und stopfte Nachthemd, Kulturbeutel und ihr Kostüm hinein. Dann griff sie nach ihrer Handtasche und warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Sie war blass. Ungewohnt blass. Die entschlossenen Worte ihres Vaters hatten sie mitten ins Herz getroffen. Tapfer schluckte sie ihre aufsteigenden Tränen hinunter. Das ist Erpressung. Die reinste Erpressung. Und das auf einer emotionalen Ebene, die unsagbar schmerzt. Aber ich lasse mir das nicht länger bieten. Dann bin ich eben ab sofort eine emotionale Waise. Basta! Sie sah sich noch einmal um, um sicher zu gehen, dass sie nichts vergessen hatte und lief dann den oberen Korridor entlang zur Treppe. Bevor sie die Stufen hinabstieg, spähte sie ein wenig hoffnungsvoll über das schön geschmiedete Treppengeländer in die Halle. Sie war leer. Leider. Niemand, der sich bei ihr entschuldigen wollte und die harten Worte zurücknahm. Helena spürte einen tiefen Schmerz in ihrer Brust. Schluchzend rannte sie die einladende Treppe hinunter durch den langen Korridor bis zur Haustür. „Helena!“ Die Stimme ihres Vaters ließ sie herumfahren. Mit Tränen in den Augen blickte sie ihm entgegen. Auch ihre Mutter und Großmutter kamen nun auf sie zu und wie durch einen Schleier nahm sie wahr, dass
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