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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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wahrscheinlich einen Lufthauch durch die offene Tür und drehte sich mit einem Ruck um. Er stöhnte, die unerwartete Bewegung hatte ihm wehgetan. “Du”, sagte er, und seine Hand umklammerte den Hörer. “Was willst du hier?” Das klang, als hätte sie überhaupt kein Recht, einfach da zu stehen, in der Tür, durch die sie erst vor wenigen Minuten gegangen war. Sie sah auf den Hörer in seiner Hand, aus der eine leise Geisterstimme: “Hallo, hallo?” rief.
    Hubert folgte ihrem Blick. “Mutter”, sagte er, “es ist meine Mutter.” Und in die Muschel hinein sagte er, wie ein Schauspieler, der sein Stichwort bekommen hatte: “Also bis morgen, Mutter.” Er legte den Hörer auf die Gabel, ohne noch auf eine Antwort zu warten. “Meine Wunde”, stöhnte er verhalten, griff sich ans Herz und sank langsam auf sein Kissen zurück. “Ich glaube, ich habe eine verkehrte Bewegung gemacht.” Gaby ging mit staksigen Beinen zur Fensterbank. “Ich habe meinen Autoschlüssel hier liegenlassen”, sagte sie mit einer Stimme, die endlich nicht mehr piepsig klang. “Hier auf der Fensterbank.” Sie blieb am Fenster stehen und sah hinaus. In dem gegenüberliegenden Flügel des Krankenhauses war die Krebsstation. Auch dort waren die meisten Gardinen zugezogen, bereiteten sich viele Patienten auf eine weitere, schlaflose Nacht vor, auf Schmerzen, die oft nur noch mit stärksten Betäubungsmitteln unterdrückt werden konnten. Jahrelang hatte der Keim zu ihrer Krankheit in ihnen geschlummert, und dann war eines Tages das Geschwür aufgebrochen, eiternd, schwärend, oft war es zu spät. Doch nicht immer. Manchmal half es, den infizierten Körperteil wegzuschneiden, die Stellen darum herum mit Strahlen totzubrennen, damit die Krankheit nicht zurückkommen konnte. Eine schmerzhafte Prozedur, aber sie half. Man lebte weiter.
    Bei Mutti hatte nichts mehr geholfen. Als ihr Krebsgeschwür aufgebrochen war, war es zu spät gewesen. Mutti war daran zugrunde gegangen.
    “Würdest du mir bitte mein Kissen noch einmal aufschütteln?” Gaby drehte sich langsam zu Hubert um. Er sah schlecht aus. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, sein Gesicht war fahl. “Soll ich den Arzt rufen? Geht es dir nicht gut?” — “Nein, es ist schon alles gut. Ich bin nur todmüde. Dieser unerwartete Anruf. Ich schlief schon beinahe. Mutter läßt dich natürlich grüßen.” — “Ja, natürlich. Vielen Dank. Sage das deiner Mutter. Vielen Dank für die Grüße.”

    Hubert war ein schwieriger Patient. Wieder zu Hause, hielt er Gaby von morgens bis abends in Trab, schien überzeugt zu sein, daß nichts und niemand auf der Welt wichtiger war als er selbst. Und Gaby schickte sich darin, ließ ihn die Sonne sein, um die herum sich alles drehte, die es in ihrer Macht hatte, Wärme auszustrahlen. Oder Kühle, wenn sie sich hinter Unmutswolken verbarg. Um neun Uhr wünschte Hubert seine erste Tasse Tee ans Bett. “Bitte mit zwei Zwiebacken, dünn mit Butter und Orangenmarmelade bestrichen.” Das frühe Aufstehen war für Gaby eigentlich der schwerste Teil des Tages. Sie schlief noch immer schlecht, obwohl ihre Alpträume sich verändert hatten. “Eine Folge der Therapie”, bestätigte ihr Jaap. Jetzt wurde sie nicht mehr verfolgt, gemartert, in Stücke gehackt — jetzt war sie selbst gewalttätig. Schreiend war sie die letzte Nacht wach geworden, ihre Hände voll Blut. Sie hatte sich über ihr Opfer gebeugt, das am Boden lag. Es hatte kein Gesicht... Zerschlagen stellte sie morgens den Wecker aus und ging wie eine Schlafwandlerin nach unten, um für die Kinder Frühstück zu machen. Glücklicherweise begriffen sie beide, daß morgens mit ihrer Mutter nicht viel anzufangen war. So aßen sie die bestrichenen Brote, tranken ihre heiße Schokolade oder den Tee und freuten sich, wieder zu Hause zu sein. “Tante Cornelia war so streng. Und wenn wir einmal ein Wort nicht richtig aussprachen, wegen unserem holländischen Akzent, mußten wir es immer wiederholen. Wie so blöde Papageien. Und sie nannten uns dauernd die Holländer. Und hier sind wir die Deutschen. Als ob wir nicht richtig dazu gehören. Dort nicht und hier nicht.” Gaby zog sie beide auf ihren Schoß, Alex auf das linke Bein, Daniel auf das rechte. “Ihr gehört zu uns. Das ist das wichtigste.” Sie schmiegten sich an sie. “Wird Vati wieder ganz gesund?” Sie strich ihrem Ältesten die dunklen Haare aus dem Gesicht. “Natürlich wird er wieder gesund. Er muß jetzt nur viel Ruhe haben.

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