Zuckerpüppchen - Was danach geschah
In zwei bis drei Monaten sieht alles anders aus.” Davon war sie selbst auch überzeugt. Aber erst einmal mußte sie die zwei bis drei Monate gut überstehen. Sie fühlte, wie sie wieder mehr und mehr zitterte. Sie stand von morgens bis abends unter seinem Erwartungsdruck. Wenn er den Tee getrunken und die Zwiebacke gegessen hatte, brachte sie ihm die Post ins Schlafzimmer, die er dann durcharbeitete. Danach ging er unter die Dusche, rasierte sich und zog sich an. Wenn sie seine vorsichtigen Schritte auf der Treppe hörte, krampfte sich ihr eigenes Herz zusammen. Im Krankenhaus hatte er an ihrem Arm die ersten Schritte getan. Zitternd und unsicher wie ein Kind. Und noch immer setzte er seine Beine so vorsichtig auf, als wolle er jede Erschütterung seines Körpers vermeiden. “Meine Rippen schmerzen”, gab er auf ihre besorgte Frage kurz angebunden zur Antwort. “Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man weiß, wie sie meine Rippen auseinandergebogen haben.” Im Wohnzimmer hatte sie dann schon für ihn das zweite Frühstück bereitet. Tee, einen Toast mit Schinken oder Käse, eine Tomate, frische Kräuter, hin und wieder ein Ei, einen zweiten Toast mit Marmelade oder Honig. “Ich möchte, daß du mir dabei Gesellschaft leistest”, sagte er. Das tat sie. Meistens aß sie auch eine Schnitte Brot, trank eine Tasse Kaffee und wartete darauf, daß seine Frühstücksprozedur vorbei war. Nicht, weil sie ihm die langsame, ruhige Zeremonie nicht gönnte, sondern weil der Zeiger der Uhr unaufhaltsam tickte und sie noch soviel zu tun hatte. Zwischen halb elf und elf Uhr konnten sie Besuch erwarten. Kollegen aus der Firma, Bekannte, Freunde. Sie kamen mit großen Blumensträußen, frischem Obst oder kleinen, lustigen Büchern. “Wie lebt es sich ohne Herz?”, “Das Leben nach dem Infarkt”, “Deinem Herzen zuliebe” oder “Reine Herzenssache” waren besonders originell. Dann machte Gaby Kaffee, schnitt ihren selbstgebackenen Apfel-, Streusel- oder sonst was für einen Kuchen an und setzte sich als stille Zuhörerin dazu. Das Gespräch, oder besser der Monolog Huberts war immer derselbe. Daß er vor der Operation überhaupt keine Angst gehabt hatte, ein Blick zu ihr, und sie nickte zustimmend. Daß er bis zuletzt im Vollbesitz seiner Kräfte war, diesmal war der Blick ein wenig schelmisch, und sie nickte wieder, daß er zwar ein paar kleine Komplikationen hatte, “so eine Nachblutung, aber nichts Ernstes, und anscheinend etwas mit der Atmung, aber na ja, nach zehn Tagen habe ich gesagt, das war es. Jetzt bin ich zu Hause genausogut aufgehoben. Nicht wahr, Gaby?” Dann sagte sie: “Das bist du ganz bestimmt, Schatz.” Sie war froh, daß er nicht seine Operationsnarbe zeigte. Aber vielleicht tat er das auch nur nicht, weil sie mit ihm darüber gesprochen hatte. “Dieses sich zur Schau stellen mancher Menschen finde ich widerlich. Weißt du noch, wie wir den Vorsitzenden vom Tennisverein im Krankenhaus besuchten und ich gar nicht so schnell wegsehen konnte, und er hatte mir schon die Narbe seiner Gallenoperation gezeigt? Was ist das doch, daß Menschen so ein Vergnügen darin finden, sich so exhibitionistisch zu betragen?” — “Ja, eigenartig”, bestätigte ihr Hubert und ließ seine Narbe unter dem zugeknöpften Oberhemd.
Gegen zwölf Uhr verabschiedeten sich die Besucher, und Alex kam von der Schule. Hubert legte sich eine Dreiviertelstunde hin, und Gaby beeilte sich, in dieser Zeit ein Mittagessen auf den Tisch zu bringen. Wenn sie einen Braten hatte, briet sie ihn am Abend vorher, weil Hubert keine Bratgerüche aus der Küche wünschte, während Besuch da war. Nach dem Mittagessen legte Hubert sich nochmals hin, Alex ging wieder zur Schule, und Gaby wärmte das Mittagessen für Daniel, der meistens gegen zwei Uhr von der Oberschule kam. Dann beeilte sie sich, Einkäufe zu erledigen, Wohnzimmer und Küche aufzuräumen, das Badezimmer durchzuputzen und brühte Tee. Zwischen drei und halb vier konnte sie wieder Besuch erwarten, diesmal mit Tee und Kuchen. Wenn der Besuch gegangen war, manchmal auch zwischendurch, wenn Hubert andere kleine amüsante Begebenheiten aus dem Krankenhaus zum besten gab, lüftete sie das Schlafzimmer, schüttelte die Betten auf, wischte dort Staub. Zwischen sechs und sieben Uhr abends machte sie Schnittchen. “Kein Grund, dich zu beeilen”, beruhigte Hubert sie, “ich trinke erst noch meinen Schnaps.” Einen genehmigte er sich, obwohl der Arzt ihm wegen der Medikamente, die
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