Zuckerpüppchen - Was danach geschah
er noch einnehmen mußte, davon abgeraten hatte. Dazu knabberte er ein paar Nüsse und las die Zeitung, die Gaby ihm gebracht hatte. “Setz dich doch zu mir”, sagte er, und sie setzte sich zu ihm, trank ihren Martini, ohne Zitrone und ohne Eis, und fragte sich, wann sie, um Himmels willen, den Artikel für die Zeitung schreiben sollte und wann sie wieder an ihrem Buch Weiterarbeiten konnte. Denn sie hatte ihre Tätigkeiten langsam wieder aufgenommen. Sie mußte einfach noch etwas anderes tun. Und wenn der Tag zu kurz war, dann arbeitete sie eben in der Nacht. Aber sie mußte schreiben. Sie konnte es Hubert nicht erklären, der murrte, wenn er nachts das Tippen der Schreibmaschine hörte. “Ich habe soviel in mir”, versuchte sie ihm deutlich zu machen. “Das muß ganz einfach heraus. Ich habe so lange nichts anderes getan, als für euch alle da zu sein.” — “Das ist doch normal”, sagte Hubert. “Du wolltest die Kinder doch auch.” — “Ja”, sagte sie. “Ich klage ja auch nicht.” Aber vielleicht hätte sie doch klagen sollen: Du wolltest die Kinder. Viel mehr als ich. Für mich bedeutete dein Wunsch, nach Daniel noch ein weiteres Kind haben zu wollen, zwei Fehlgeburten und eine Schwangerschaft mit vielen Einschränkungen. Du wolltest partout noch ein Kind! Und du gehst doch auch deinem Beruf nach, brauchst dich nie zu entscheiden, die Kinder oder dein Beruf, und du hast auch nie Schuldgefühle, ob sie nicht vielleicht doch zu kurz kommen. Aber sie sagte nichts. Erstens durfte er sich nicht aufregen, und zweitens würde es reichlich überheblich klingen, ihre Schreiberei als Beruf zu bezeichnen, und das Studium — was stellte das schon vor!, und drittens hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich bei einer Frauenzeitschrift als Kolumnistin beworben hatte und angenommen worden war. Das hieß noch wieder eine Verpflichtung mehr, und wer weiß, wie er darauf reagieren würde, und er brauchte doch seine Ruhe. Es hatte sie nicht überrascht, daß er wieder alle Fäden in der Hand hatte, vielleicht sogar noch mehr als früher, weil er jetzt zu Hause war und ihr bei allem auf die Finger sah. “Du hast schon wieder die Gläser verkehrt in den Geschirrspüler gestellt”, sagte er, faßte sich kurz an die Brust, seufzte, beugte sich vor und stellte die Gläser anders hin. “Du hast die Schüsseln nicht vorgewärmt”, sagte er, nahm sie ihr aus der Hand und ließ heißes Wasser hineinlaufen. “Du weißt doch, daß das Essen in nicht vorgewärmten Schüsseln viel schneller kalt wird.” Ja, das wußte sie, aber sie hatte noch schnell ein paar Oberhemden gebügelt, die Waschmaschine aufs neue gefüllt und einfach nicht daran gedacht. Aber sie sagte nichts. Wenn sie auch nur sagte: “Nun laß mich doch machen”, dann faßte er sich an sein Herz und atmetete tief durch. Nicht mehr, aber sie fühlte sich schuldig an seinen Schmerzen, denn er hatte ja recht, er hatte immer recht, er wies sie nur auf ihre Unzulänglichkeiten hin. Sie war nie eine perfekte Hausfrau gewesen, sie kochte, backte, putzte, es war gemütlich in ihrem Hause. Aber sie übersah beim Putzen ein paar Wasserflecken im Badezimmer, oder sie hatte schon wieder nicht daran gedacht, daß er Lauchgemüse haben wollte, und den Hefekuchen seiner Mutter hatte sie auch schon lange nicht mehr gebacken, und im Wohnzimmer räumte sie immer dann die Zeitungen weg, wenn er sie gerade lesen wollte. Ja, er hatte recht, sie machte vieles verkehrt, aber sie fühlte sich gehetzter und gehetzter, oft fielen ihr Dinge aus der Hand, und sie erhöhte ihre Dosis Beruhigungstabletten.
“Ich bitte dich, hast du heute noch Zeit? Ich habe das Gefühl, daß ich vollkommen durchdrehe.” Gaby stand in der Telefonzelle auf dem Marktplatz, ihr blauer Volkswagen stand mit laufendem Motor davor. “Ich würde mich am liebsten in meinen Wagen setzten und fahren, fahren, soweit ich kann.” Sie hörte Jaap am anderen Ende der Leitung mit Papier rascheln. “Ist gut”, sagte er dann. “Komm in einer halben Stunde. Ich verschiebe einen anderen Termin. Und fahr vorsichtig.”
Wieder im Auto legte sie für einen Moment ihren Kopf auf das Steuer. Gott sei Dank, daß er Zeit hatte. Sie fühlte sich, als wenn sie jeden Moment explodieren würde, der Druck in ihr war so groß, daß sie die Zähne aufeinanderbeißen mußte, um überhaupt noch normal atmen zu können. Wenn sie noch eine Minute länger zu Hause geblieben wäre und sie hätte den Mund geöffnet, wären all
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