Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
Vom Netzwerk:
Aufregung gesorgt. “Hallo, gut siehst du aus”, krächzte er, bei dem Versuch, galant wie immer zu sein, wenige Minuten nachdem er endlich von dem Sauerstoffschlauch befreit war. Von Aggressivität ihr gegenüber keine Spur. Wohl gegenüber dem Pflegepersonal. “Ich will, daß meine Frau mir die Brühe gibt.” Ungewohnt grob schob er die Schwester zur Seite. “Nur von meiner Frau will ich versorgt werden.” Die Schwester warf Gaby einen amüsierten Blick zu. Sie kannte diese Reaktionen und nahm sie nicht persönlich. “Natürlich, wenn Sie wollen, Herr Gerken, wird Ihre Frau Ihnen die Brühe geben.” Und das erste Mal fütterte sie Hubert, so wie sie unzählige Male ihre Kinder gefüttert hatte. Doch da war etwas in seinen Augen, das sie verunsicherte. Er öffnete den Mund, schluckte, leckte vorsichtig mit seiner Zunge über seine aufgesprungenen Lippen. Sie lächelte ihm liebevoll zu, strich mit dem Finger über seinen Handrücken, aus dem eine Kanüle entfernt worden war. “Ich bin so froh”, flüsterte sie, “jetzt geht es bergauf.” — “Suppe”, krächzte er, so, als solle sie den Mund halten und ihn nur füttern. Nicht mehr und nicht weniger, nur füttern. Das war keine Aggressivität, das war Macht. Unverblümter als sonst, der Schliff hatte Risse bekommen. Sie atmete tief durch, beim nächsten Löffel zitterte ihre Hand. Ein wenig Suppe lief aus seinem Mundwinkel. Er sah sie an. Lächelte ein wenig. Sie tupfte ihm vorsichtig das Kinn ab. “Alles wird gut”, sagte sie, “alles wird gut.” Er antwortete nicht.

    Von morgens um acht Uhr bis abends um neun Uhr saß Gaby an seinem Bett. In der Mittagspause, wenn er ein wenig die Augen schloß, fuhr sie ins Einkaufszentrum, um ihm die Dinge zu holen, die er im Laufe des Vormittags genannt hatte. Hundert Gramm Walderdbeeren, ein Pistazieneis, eine kleine Pastete. Seine Wünsche waren ausgefallen, aber sie war froh, daß er Wünsche hatte. Und daß sie sie ihm erfüllen konnte. Alles wird gut. Manfred kam, ruppig, unzufrieden, blaß, brachte Hubert einen Strauß Blumen, sagte beinahe nichts. “Was ist los mit dir?” fragte Gaby, als sie ihn zum Fahrstuhl begleitete. “Du bist nicht die einzige, die Probleme hat”, sagte er bissig. “Dein Studium?” Sie hatte geahnt, daß er es nicht packen würde. “Dein Studium?” Er äffte ihren Tonfall nach. “Nein, nicht mein Studium.” Er ging weg, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Deprimiert ging sie zu Hubert zurück. Erst Monate später konnte Manfred richtig mit ihr darüber reden. Seine erste Liebe, die zarte kleine Marja, hatte ihn mit seinem Freund betrogen. “Ausgerechnet mit Udo”, hatte er verbittert gesagt. “Warum mußte es ausgerechnet Udo sein?” Sie hatte keine Antwort gewußt.

    Hubert konnte jetzt auch wieder selbst telefonieren und Telefongespräche annehmen. Die ersten Tage hatte Gaby wieder und wieder Freunden, Bekannten und Kollegen Bericht erstattet: Es ginge ihm den Umständen entsprechend, dann ein wenig besser, plötzlich unerwartete Komplikationen, Gott sei Dank, langsam kam er über den Berg. Blumen wurden abgegeben, Glückwunschtelegramme zugestellt. Nur von Ursel und ihrem Mann hatten sie nichts gehört. Vergeblich hatte Gaby ein paarmal versucht, sie unter der angegebenen Telefonnummer zu erreichen.

    Es war der neunte Tag. Sie verabschiedete sich von Hubert, schüttelte noch einmal sein Kissen auf, zog den Vorhang halb zu, so daß ihn das Licht von draußen nicht störte. “Ich werde gleich schlafen”, sagte er und schloß die Augen. “Morgen stehen einige anstrengende Untersuchungen auf dem Programm.” Sie winkte ihm noch einmal von der Tür zu, er reagierte matt. Erst beim Auto entdeckte sie, daß sie ihren Schlüssel auf der Fensterbank hatte liegenlassen. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl wieder nach oben, ging leise den spärlich beleuchteten Gang entlang. Die Nachtschwester grüßte sie freundlich. “Noch etwas vergessen, Frau Gerken?” Inzwischen kannte sie jeder auf der Station. “Meinen Schlüssel.” Sie lachte verlegen. “Was man nicht im Kopf hat, muß man in den Beinen haben.” — “Ja, wem sagen sie das.” Die Schwester verschwand in der Küche. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Vielleicht schlief Hubert schon. Er schlief nicht. Er hatte den Rücken zur Tür gedreht, ein Kissen unter den Arm geschoben, mit dem er den Telefonhörer festhielt. Seine Stimme klang verhalten. “Ja”, sagte er, “ich dich auch. Sehr.” Dann fühlte er

Weitere Kostenlose Bücher