Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
Vom Netzwerk:
weggenommen hatte. Sie hatte diese Lügerei verabscheut. Nicht so sehr aus nobler Gesinnung, sondern weil sie glaubte, daß man Kinder nicht so belügen sollte. “Und was wolltest du?” fragte Curd weiter. “Wir waren doch auch deine Kinder. Konntest du es verantworten, daß wir so belogen wurden?” An Curd hatte Gaby nicht gedacht. Wenn ihr Huberts Erklärungen auf die Nerven gingen und auch sehr bedenklich erschienen, wem in seiner Familie Xenia nun ähnlich sah, hatte sie immer an das Mädchen gedacht. Wie verkraftet sie es, wenn sie eines Tages die Wahrheit hört. Aber Xenia trug es mit Fassung. “Du bist und bleibst mein Vater”, sagte sie. “Ist doch nicht so wichtig, wer mein Erzeuger war.” Vielleicht war diese Haltung für sie die einfachste. Aber Curd verstummte. Als ältester Sohn hatte er von der Scheidung der Eltern und den Problernen davor am meisten mitbekommen. “Das unerträgliche Schweigen”, klagte er viel später, als er schon in die Psychiatrie aufgenommen war. “Stundenlang saß mein Vater in seinem Arbeitszimmer, weit weg von uns. Er war für mich nicht erreichbar. Während meine Mutter im Wohnzimmer mit ihrem Geliebten saß. Da war es warm und gemütlich. Bei meinem Vater fror ich.” Hubert und Gaby wurden zur Familientherapie bestellt. In Familiengesprächen sollte geklärt werden, warum Hubert sich so und nicht anders verhalten hatte. Sie sollten einander besser begreifen lernen. Curd hatte darauf bestanden, daß Gaby auch dabei war. “Sie war in all den Jahren die einzige, mit der ich richtig reden konnte. Ich meine, noch über anderes, als nur das Essen und wie meine Zensuren auf der Schule waren. Mein Vater hatte eine Mauer um sich herum.” Es war für Gaby, als ginge eine Tür für sie auf. Sie fühlte das nicht allein so. Auch Curd fühlte diese Mauer. Es lag nicht nur an ihrer Kindheit, daß sie glaubte, sich die Finger blutig kratzen zu müssen, um zu ihm durchzudringen. Sie begrüßte die Therapie. Es war nicht ihre eigene Therapie, aber vielleicht wurde Hubert dadurch manches deutlicher. Vielleicht begriff er, wie sehr es Menschen um ihn herum verletzte, wenn er sich so reserviert gab, so hinter einer Maske verbarg. Die Gespräche kamen nur mühsam in Gang. Hubert saß seinem Sohn gegenüber, der Therapeut zwischen den beiden, Gaby gegenüber dem Therapeuten. Sie mußte oft die Zähne aufeinanderbeißen, um ihrem Mann nicht zuzuschreien: “Zeige doch endlich einmal Leben, Gefühle, siehst du nicht, wie dein Sohn leidet?” Aber sie hielt sich zurück. Der Schrei mußte von anderer Seite kommen. Und eines Tages war Curd soweit: Er schrie und heulte, schluchzte und weinte sich den Schmerz und das Nichtbegreifen von seiner Seele. Wie sehr er sich von seinem Vater im Stich gelassen, wie sehr er sich betrogen fühlte. “Das Schlimmste war, ich habe jahrelang eigentlich nichts mehr gefühlt. Ich lebte wie unter eine Käseglocke. Weil ich die Gefühle nicht begriff, die ich hatte, habe ich lieber nichts mehr gefühlt.” Hubert war berührt, aber es bedurfte der Aufforderung des Therapeuten, um seinen Sohn in die Arme zu nehmen. Vielleicht, dachte Gaby, vielleicht hilft uns die Therapie seines Sohnes, die Mauer abzubrechen. Vielleicht begreift er, daß man so nicht leben kann. Oder vielleicht wohl “Mann”, aber nicht ich, seine Frau.
    Nach den Therapiegesprächen war es Gaby immer für kurze Zeit, als rissen die Wolken auf und sie könnte etwas Licht sehen. Die schweren Angriffe seines ältesten Sohnes machten Hubert zu schaffen. “Ich habe dringend einen Schnaps nötig”, sagte er, und sie kehrten auf dem Weg nach Hause irgendwo ein. “Ich war überzeugt, es wäre richtig für die Kinder, nicht mehr zu wissen”, sagte er. “Ich konnte ihnen doch nicht sagen, daß ihre Mutter mich mit meinem Freund betrogen hat. Daß Xenia seine Tochter war.” — “Warum nicht? Ich meine, es kommt doch nur auf die Art an, wie man so etwas sagt. Du hättest Charlott ja nicht zu verdammen brauchen.” Nachdenklich fügte sie noch hinzu: “Vielleicht war sie sehr einsam.” — “Das entschuldigt doch nicht, daß sie mich betrogen hat”, entgegenete er ungewöhnlich scharf. “Vielleicht hattest du damals auch schon so ‘großzügige’ Ansichten über die eheliche Treue”, vermutete Gaby. “Vielleicht ist dabei nur ein Malheur passiert?” — “Sie hat ihn geliebt!” In dem Satz lag seine ganze Enttäuschung. Lieben durfte man nur ihn. “Es muß schlimm für dich gewesen

Weitere Kostenlose Bücher