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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Kind. Sie sah, daß er weinte. Sie fühlte auch ihr Gesicht naß werden. Unser Sohn, sie hatte von Hubert einen Sohn. Ich danke dir, lieber Gott, daß ich das erleben darf. Jetzt ist alles gut. Er weint mit mir. Er fühlt wie ich, wir gehören zusammen. Alles andere ist unwichtig, nur wir zählen.
    Daniel war ein pflegeleichtes Kind. Falls der Geburtsvorgang traumatische Erinnerungen verursacht hatte, dann waren die nicht spürbar. Er weinte fast nie. Oft lag er wach in seinem Himmelbett und spielte versonnen mit seinen Fingern. Nach sechs Wochen erkannte er sie und begrüßte sie mit einem Lächeln, das ihr jedesmal ein wehes Glücksgefühl gab. Dann nahm sie ihn hoch, drückte ihn an sich und vergrub ihre Nase in den Hautfalten am Nacken. Er dankte ihr mit einem wohligen, kleinen Grunzer, versuchte eine ihrer dunklen Locken zu packen. Es gab kein größeres Glück als ein Kind. Sie erinnerte sich, daß sie nach Natalies Geburt drei Tage lang nicht schlafen konnte, ohne daß sie müde wurde. Es war eine Art Rausch gewesen: Sie hatte ein Kind, dieses kleine Wesen neben ihrem Bett war von ihr. Dieses komplette Wunderwerk mit zehn Fingern und zehn Zehen, einem rosigen, runden Leib, zwei dunklen Augen, einer kleinen Stupsnase und mit dem warmen, atmenden Mund, war in ihr gewachsen. Es war das erstemal in ihrem Leben, daß sie in ihrem Frau-Sein ein Vorrecht gesehen hatte. Was Männer auch alles konnten, wie stark und mächtig sie auch waren, ein Kind konnten sie nicht gebären. Dieses Glücksgefühl, Leben zu schenken, konnten sie nicht nachvollziehen. Schon darum sollte man sie eigentlich bedauern.
    Bei Manfreds Geburt hatte sie genau die gleichen Empfindungen gehabt. Vermengt mit der leisen Verwunderung, daß aus ihrem Schoß so schöne und gesunde Kinder kommen konnten. Und jetzt Daniel. Wenn sie sah, wie Hubert ihn behutsam gegen sich angedrückt trug, ihm nach dem Fläschchen den Rücken klopfte, für ihn unaussprechliche kleine Koseworte erfand, konnte sie ohne Angst durchatmen. Das war eine Zuneigung, so unverfälscht, hier war keine andere Deutung möglich.
    Anders war es, wenn er von der Firma anrief: “Kleines, ich muß wegen einiger dringender Anrufe aus Südamerika noch im Büro bleiben. Du weißt, der Zeitunterschied von sechs Stunden.” Sie hatte sich nichts dabei gedacht. Natürlich mußte er in der Firma erreichbar sein. Ein Mann in seiner Position konnte nicht um fünf Uhr von seinem Schreibtisch aufstehen und sagen: “Das war’s für heute.” Aber dann war da der Abend, an dem Natalie Elternabend hatte. Sie wollte ihn anrufen, ob er um acht Uhr zu Hause sei. Sie hörte sein Telefon klingeln, aber er nahm nicht auf. Sie war allein zur Schule gegangen, hatte mit zittrigen Knien einen Platz im Klassenzimmer gesucht und versucht, sich auf die Ausführungen des Klassenlehrers zu konzentrieren. Rauchen in den Pausenhallen sollte verboten werden; Jugendliche, die unbedingt eine Zigarette anstecken wollten, müßten dafür nach draußen gehen. Die Lehrer müssen ein besseres Vorbild sein, wandte eine Mutter ein. Es ist doch unmöglich, daß da jemand vor der Klasse eine Pfeife im Mund hat. Gelächter. Jeder, außer Gaby, schien zu wissen, wer gemeint war. Sie bewunderte die Frauen, die so unbefangen ihre Fragen stellten, denen es nichts auszumachen schien, daß die anderen sie ansahen. Sie hatte auch Fragen. Warum nach dem Geschichtsunterricht — durchgenommen wurde der Zweite Weltkrieg — Natalies Schultasche mit Hakenkreuzen beschmiert war? Ob man einen Unterschied machte zwischen der zweiten Generation nach dem Krieg und ihren Großvätern? Ob man Hitlers Machtübernahme historisch begründet erklärte und abwich von dem hier gängigen Klischee, daß alle Deutschen Ja-Sager waren, eine starke Hand brauchten, Disziplin und Gehorsam über alles stellten? Aber wenn sie etwas fragen wollte, würden alle sie ansehen. An ihrem Akzent würden sie hören, daß sie auch eine dieser Deutschen war. Bestimmt würde ihre Stimme zittern. Vielleicht dachte man dann, daß ihre Eltern auch zu den Mitläufern zählten, vielleicht sogar zu den Mittätern. Sie schwieg. Sie dachte an Hubert. Sie hatten Patty und Piet nicht wieder eingeladen. Selbst hatten sie sich auch nicht mehr gemeldet. Aber jetzt begann es, daß Hubert später nach Hause kam. Abends noch einmal wieder zu einer Besprechung mußte. Wie gründlich er sich vor so einer geschäftlichen Verabredung duschte, reichlich sein Paco Rabanne über sich ausgoß,

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