Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Eines Nachts — sie saß allein vor dem Kamin und starrte in die bläulich lodernden Flammen und fragte sich, was es nur sei, von dem sie fühlte, daß es an ihr fraß wie das Feuer an dem Holz — da hörte sie draußen Musik, Gitarren und eine Ziehharmonika. Hubert kam aus dem Schlafzimmer zu ihr. “Wir bekommen eine Serenade.” Er schien aufgeregt. “Eine besondere Ehrung für besondere Gäste.” Verschiedene Geschäftsfreunde, die sie schon oft unter ihrem eigenen Dach empfangen und verwöhnt hatte, hatten sich zusammengefunden und brachten ihnen ein musikalisches Ständchen. Die Männer kamen herein, und die ganze Nacht hindurch wurde gesungen, gespielt, getrunken und gegessen. Gaby sah öfter zu Hubert, der vollkommen in seinem Elernent war. Er lachte, scherzte, trank. Er schien sie vollkommen vergessen zu haben. Sie existierte nicht für ihn. “Das ist alles für dich”, sagte Maria, Herrn Orlandos Frau zu ihr. “Alle Männer schwärmen von dir und deiner Gastfreundschaft.” Für mich, dachte Gaby. Wieso für mich? Warum berührt es mich nicht? Warum fühle ich mich so schrecklich einsam?
Vielleicht wird es in der Boyaca besser! Hubert hatte für eine Woche einen Renault gemietet und von einem Hotel in Sochagota aus wollten sie die dort besonders idyllische Landschaft erkunden und alte, spanische Kirchen und Kathedralen besichtigen. Duitema war ihre erste Station. In dem uralten Kirchenmuseum entdeckte Gaby stets neue Schätze. Für kurze Zeit konnte sie Hubert mit kindlicher Freude auf all das unfaßbare Schöne hinweisen, das vor mehr als dreihundertfünfzig Jahren soviel Unglück ins Land gebracht hatte. Die alten Madonnenstatuen umhüllten Mäntel mit dickem Blattgold. An den verwitterten Kruzifixen schimmerten Rubine und Smaragde. Im Innengarten des Museums verbreiteten Rosen und Orchideen einen betäubenden Duft. Dazwischen rankten seltene tropische Gewächse, und ein goldfarbener Springbrunnen sprühte kristallklares Wasser in auf- und abschwellenden Fontänen in die flimmernde Hitze. “Wie im Paradies.” Gaby wurde ruhig von soviel Schönheit. Hubert legte schweigend den Arm um sie. In Mongui besuchten sie eine Kathedrale. Neben dem üblichen Prachtbau war diesmal auch der Ort besonders sehenswert: uralte, weißgetünchte Steinhäuser umringten die sandsteinfarbige, zweitürmige Kirche wie die Lämmer ihren Hirten. Verstohlen betrachtete Gaby die Indios, die trotz der Hitze unter dunklen Ponchos auf den Treppenstufen im Schatten des Vordaches des Gotteshauses saßen. Sie trugen alte, speckige Filzhüte tief ins Gesicht gezogen und dösten vor sich hin. Was ging in diesen Menschen vor? Kannten sie Ängste und Sorgen wie sie? Oder waren sie durch jahrhundertelange Not abgestumpft und gottergeben?
Hubert war mehr weltlichen Gedanken zugewandt. “Es wird Zeit, daß wir etwas Leckeres zu essen bekommen”, hatte er gesagt. “Auf zum Lago de Tota. Da soll es die besten Forellen in ganz Kolumbien geben.” Er ist und bleibt ein Genießer, dachte Gaby und nahm mit leisem Bedauern Abschied von diesem Ort der Ruhe und des Friedens.
Der Weg zum See war nicht gepflastert, und Gaby fühlte selbst zwischen den Zähnen noch feine Sandkörner. Als sie den See sah, hielt sie wieder den Atem an: Wie eine dunkelblaue Perle lag er zwischen den braunen Hügeln eingebettet. Der Renault holperte und stolperte über die Landstraße, die auch vor dreihundert Jahren nicht viel schlechter gewesen sein konnte. “Mist”, hatte Hubert auf einmal geschimpft, und das war für ihn eine besonders gefühlsbetonte Äußerung. Er hatte eine große Kuhle nicht rechtzeitig gesehen und war zu schnell hineingefahren. Es gab einen Ruck, der Wagen zuckelte langsam weiter, allerdings mit dem Fahrgeräusch eines mittleren Hubschraubers. Hubert stieg aus, um sich den Schaden anzusehen. Gaby rutschte tiefer auf ihren Sitz. Die Vorstellung, daß etwas ernstes am Auto kaputtgegangen sei, war in dieser Einöde alles andere als erfreulich. “Auspuff am Motor abgebrochen”, stellte Hubert nach einer kurzen Untersuchung des Schadens fest und knallte die Motorhaube zu. “Schlimm?” Hubert startete und fuhr langsam weiter. “Na ja”, murmelte er vage und las laut das Dorfschild, das vor ihnen auftauchte. “Aquitania. Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt.”
Bei einer Tankstelle erkundigte er sich, ob man den Schaden reparieren könne. Doch der junge Mann in zerrissenen Jeans schüttelte den Kopf und wies auf ein kleines
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