Zuckersuesse Todsuenden
die Hände. Sie deutete auf Shirley, schloss die Augen und stimmte einen Sprechgesang an: »Shirley. Shirley. Shirley.«
Diesel hob leicht die Augenbrauen. »Hast du diesen Zauberspruch schon einmal angewendet?«
»Nein«, erwiderte Glo. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es richtig gemacht habe.«
»Wumm bumm«, sagte Shirley.
Wir drehten uns alle zu ihr um.
»Ich klebe den Stock an den Bock«, erklärte sie. »Ihh! Ratzfatz, rubbeldiekatz.« Ihre Augen weiteten sich, sie schlug sich die Hände vor den Mund und schüttelte den Kopf. Offensichtlich waren das nicht die Worte, die sie hatte sagen wollen. »Klebriger Sack. Großer, klebriger Sack!«
Shirley redete kompletten Unsinn. Zuerst dachte ich an einen Schlaganfall. Dann an halluzinogen wirkende Pilze. Und mein dritter Gedanke war so befremdlich, dass ich ihn nicht einmal ausformulieren wollte. Ich befürchtete, dass Glo das bewirkt haben könnte.
»Heiliger Strohsack«, stieß Glo hervor. »Was ist passiert? Sie sollte doch keinen Unsinn von sich geben. Das war ein Wahrheitszauber.«
»Bist du sicher, dass du die Zauberformel richtig aufgesagt hast?«, fragte Diesel Glo.
»Ich habe genau die Worte vorgelesen, die im Buch stehen. Eigentlich sollte ich dazu das pulverisierte Gehirn eines Yaks verwenden, aber ich war der Meinung, dass das keinen großen Unterschied machen würde. Ich meine, wir befinden uns hier in einer Notsituation, und ich hatte kein Yakgehirn zur Hand.«
Shirley starrte Glo böse an. »Du pupsende Vorhaut!«
»Herrje«, seufzte Glo. »Das ist derb.«
»Okay«, sagte ich zu Glo. »Angenommen, Shirley hält uns nicht zum Narren, und du hast sie tatsächlich mit einer Art Zauber belegt … Dann solltest du ihn schnell wieder aufheben.«
Glo vergrub ihre Nase in dem Buch. »Hier steht nichts über einen Gegenzauber.«
Ich schaute zu Diesel hinüber.
»Ich kann da nicht weiterhelfen«, erklärte Diesel. »Mit Zaubersprüchen habe ich nichts am Hut.«
Shirley schien in Panik zu geraten. »Affen gaffen«, stieß sie hervor.
»Vielleicht legt es sich wieder«, meinte Glo. »Einige dieser Zauber wirken nur eine bestimmte Zeit. In dem Buch steht allerdings nichts über die jeweilige Dauer.«
»Haben Sie das gehört?«, fragte ich Shirley. »Gute Neuigkeiten. Der Zauber könnte von selbst wieder verschwinden.«
Shirley zeigte mir ihren Mittelfinger.
»Noch eine gute Nachricht«, meinte Diesel. »Sie beherrscht die Zeichensprache.«
Shirley zog ihren Mittelfinger zurück und streckte den Zeigefinger aus.
»Eine Minute?«, riet Glo.
Shirley nickte. Sie wirbelte herum und lief in ihr Schlafzimmer.
»Vielleicht holt sie jetzt das geheime Erbstück«, mutmaßte Glo.
Ich warf Diesel einen Blick zu. »Das läuft nicht gut, oder?«
Diesel stieß einen tiefen Seufzer aus.
Einen Augenblick später marschierte Shirley aus ihrem Schlafzimmer. Das zeltartige Kleid bauschte sich, als sie den Arm hob und eine Waffe auf uns richtete.
»Friss Scheiße und schau auf die Uhr«, forderte Shirley.
Ich wirbelte herum, rannte zur Tür und schob Glo vor mir her. Peng, peng, peng. Eine der Kugeln drang in die Wand ein, und ein großes Stück Putz fiel von der Wand. Wir flohen aus der Wohnung, rannten die Treppe hinunter, durch die kleine Eingangshalle und quer über die Straße. Diesel war dicht hinter uns. Wir sprangen in den SUV, und Diesel brauste los.
Es war alles so schnell geschehen. Mein Herz klopfte wie wild, und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das war das erste Mal, dass jemand eine Waffe auf mich gerichtet hatte. Und noch schlimmer war, dass eine meiner Cupcake-Kundinnen auf mich geschossen hatte.
Diesel wirkte nicht allzu sehr beunruhigt. Als Nachhut hatte er ein besonders gutes Ziel abgegeben, aber er saß ganz gelassen hinter dem Lenkrad.
»Geht es dir gut?«, erkundigte ich mich.
»Ja. Sie ist keine gute Schützin. Und ich bin nicht so leicht umzubringen, selbst wenn sie mich getroffen hätte.«
Okay, das erklärte wohl seine Gelassenheit. Er war nicht leicht umzubringen. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich war nur ein schwächliches menschliches Wesen, zusammengehalten von Haut und ein wenig Glück.
Als wir die Hälfte des Häuserblocks hinter uns gelassen hatten, beugte Glo sich zu uns vor. »Und was nun?«, fragte sie. »Ist eigentlich immer noch Happy Hour?«
Ich starrte Glo an. »Happy Hour? Ist das dein Ernst? Wie kannst du jetzt an Cocktails denken? Man hat gerade auf uns geschossen. Wir hätten sterben
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