Zuckersueßes Chaos
Lernen machte, rief ich meine Mutter an, die meinen Anruf schon sehnlichst erwartete, auch wenn ich das nicht ganz nachvollziehen konnte. Wenn ich mit meinen Eltern telefonierte oder eigentlich zählte das auch bei jeder anderen Person, dauerte das Gespräch meist nicht länger als ein paar Minuten. Ich war einfach nicht der Typ, der groß Smalltalk hielt – was besonders Vicky, das Plappermaul, an mir bemängelte. Aber ich hatte einfach kein Talent dafür, ein Gespräch ordentlich zu verpacken oder in die Länge zu ziehen. Ich rief an, fragte, ob alles in Ordnung war, kam zum Punkt und legte wieder auf. Alles, was davor oder danach kam, war für mich unwichtig.
Das war auch der Grund, warum mein Handy nur selten klingelte, aber ich fand das Telefonieren immer so unpersönlich. Lieber traf ich mich auf einen Kaffee oder wie ich es früher immer mit meiner alten Schulfreundin Ricarda getan hatte, auf einer weiten Wiese im Park und tauschte Neuigkeiten aus. Das machte weit mehr Spaß, als in einen Hörer reinzusprechen. Und da das für Freunde wie Familie gleichermaßen galt, dauerte auch dieses Gespräch nicht allzu lange. Mom fragte, was es bei mir Neues gab, ich tat dasselbe und eh wir uns versahen, waren wir auch schon wieder am Ende des Telefonates angelangt. Meinen Vater rief ich erst gar nicht an, denn der war praktischerweise genauso mundfaul wie ich. Ich glaube, in meinen 23 Jahren hatte er mich bisher nur vier Mal angerufen oder so. Bei Vicky hatte ich es schon mal fertig gebracht, eine Minute lang gar nichts zu sagen, so dass sie einfach aufgelegt hatte.
Vielleicht war das der Grund, warum sie nie abnahm, wenn ich anrief, überlegte ich schulterzuckend. Mom würde mich im Laufe der Woche noch einmal anrufen und mir sagen, ob und wann sie nun kam. Sie und Vickys Mom, Tante Angelica verstanden sich nämlich genauso gut wie wir Kinder und besuchten sich mindestens so oft wie wir. Und wie ich sie kannte, würde sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mich zu besuchen und zu schauen, was ich so tat. Naja, so waren Mütter eben.
Kapitel 11
Bevor ich am nächsten Tag um 17 Uhr auf der Arbeit erschien, legte ich mir ein paar pastellfarbene Basic-Oberteile zu und machte mich dann auf den Weg zur Boutique. Heute herrschte deutlich mehr Kundenlauf, so dass ich mich in der Beratung üben und gleich ein paar Wissensschnipsel meiner neuen Stoffkenntnisse loslassen konnte, was Juliette außerordentlich erfreute. Ich richtete gerade die Taschen im Eingangsbereich, als zwei weitere Kunden das Geschäft betraten.
»Ist das nicht etwas übertrieben?«, fragte eine weibliche Stimme und veranlasste mich zum Umdrehen.
»Das ist meine Mutter. Da darf ich ja wohl etwas mehr Geld ausgeben, oder?«, antwortete eine männliche Stimme und gerade, als ich die Kunden mit einem
Herzlich Willkommen
begrüßen wollte, sah ich, um wen es sich handelte.
»Claire«, sagte Taylor überrascht und blieb stehen. Seine Begleiterin würdigte mich allerdings keines Blickes und lief geradewegs an mir vorbei und auf die neue Taschenkollektion zu. Aha. Deshalb hatte er nicht mit rein kommen wollen. Er hatte eine Freundin. Welche Überraschung!
»Hey«, erwiderte ich und sah ihr kurz hinterher.
»Arbeitest du hier?«, fragte er und im selben Moment fiel sein Blick auf mein Namensschild.
»Seit gestern«, antwortete ich und musste mich zusammennehmen, um ihn nicht wie bekloppt anzustarren.
Diese Augen!
, dachte ich mir und sah ebenfalls auf meinen Namen runter, um mich kurz zu sammeln. Er konnte einen wirklich aus der Bahn werfen, wenn er einen so ansah. Als würde man an einem sonnigen Tag aufs glitzernde Meer hinausschauen.
»Wie geht es deinem Solarplexus?«, fragte er grinsend.
»Funktioniert noch«, antwortete ich und stellte die Tasche, die ich noch in der Hand hielt, zurück ins Regal.
»Also, wie kann ich euch weiterhelfen?«
»Meine Mutter hat morgen Geburtstag und ich hab’s total verpennt. Jetzt rennen wir hier schon seit drei Stunden rum und haben immer noch nichts gefunden. Bitte Claire, sag mir, dass du was für mich hast. Du bist meine letzte Hoffnung«, sagte er und faltete die Hände zu einem Gebet. Ich lachte und bedeutete ihm mitzukommen.
»Darf ich fragen, welches Preissegment dir vorschwebt?«, fragte ich und war froh, dass Juliette gerade selbst mit einer Kundin beschäftigt war. Sie hätte es sicher nicht geschätzt, wenn ich einen Kunden nach seinem Budget fragte. Andererseits war mir Taylor ja kein
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