Zügel der Leidenschaft
machen.«
»Ein guter Gedanke, Schatz«, sagte Saskia, die mehrfach so dicht vor dem Tod durch die Hand ihres Gatten gestanden hatte, daß sie Rache mit unkonventioneller Offenheit betrachtete.
»So weit bin ich aber noch nicht.« Er malte mit dem Finger die Schleifmuster des Glases nach. »Zu kaltblütigem Mord muß man geboren sein.«
Angela mußte an diesem Morgen ihre Mutter besuchen. Ihr fiel keine passende Entschuldigung ein, um sich vor dieser Verpflichtung zu drücken, aber sie bat Violet, sie zu begleiten. In ihrer Verzweiflung war sie kaum fähig, sich die Vorhaltungen ihrer Mutter allein anzuhören.
»Gott, wie erschöpft du aussiehst, meine Liebe«, rief ihre Mutter entsetzt, als Angela ihren Salon betrat. Sie saß wie üblich steif wie ein Ladestock in ihrem Lieblingssessel beim Fenster und verströmte eisige Kälte. »Habe ich dich nicht wiederholt gewarnt, daß deine Tätigkeiten auf Easton dich schließlich völlig überfordern?«
»Es geht mir gut, Mutter«, gab Angela tonlos zurück und warf einen Blick auf die Porzellanuhr bei der Tür. Mehr als eine halbe Stunde würde sie hier nicht bleiben.
»Violet, ich verlassen mich auf Sie, daß Sie Angela ein wenig zur Raison bringen«, erklärte Gräfin Ross nun. »Sie verschwendet zuviel Zeit und Geld auf ihre Pächter«, fuhr sie entrüstet fort. »Ich bin sicher, daß sie es ihr nicht danken werden. Möchtet ihr Mädchen Tee oder Schokolade trinken?«
Beide entschieden sich für Schokolade, und während die alte Gräfin ihnen aus der Silberkanne einschenkte, sagte sie stirnrunzelnd: »Brooks Schwester hat mir unangenehme Dinge mitgeteilt. Ich finde diese Bürgerlichen, mit denen du dich neuerdings einläßt, deiner völlig unwürdig, Angela. Gwendolyn hat sich ziemlich darüber aufgeregt.«
»Gwendolyn ist eine alte Intrigantin, Gräfin«, versuchte Violet sie zu besänftigen. »Das weiß doch jeder.«
»Das mag ja sein, aber ihre Informationen haben mich dennoch stark beunruhigt. Sie erwähnte einen Verlobungsring?«
»Ich bin nicht gewillt, hier Dinge zu besprechen, die Gwendolyn von sich geben zu müssen glaubt, Mutter«, erwiderte Angela und biß fest die Zähne zusammen, um nicht dem überwältigenden Drang zu schreien nachzugeben. »Mein Leben geht sie nichts an.«
»Ich hoffe nur, Angela, daß du begreifst, wie ernst deine Lage ist, wenn du Brook provozierst«, mahnte die Mutter streng. »Lady Orme war neulich bei der Königin, und sie hat mich daran erinnert, daß Wales gerade erst die Gunst seiner Mutter zurückerlangt hat. Du kannst es dir nicht leisten, deinen Mann zu verärgern.«
»Vielleicht sollte sich Brook lieber die Risiken klarmachen, wenn er mich provoziert, Mutter. Um Bertie oder die Königin schere ich mich keinen verdammten Deut.«
»Ich dulde es nicht, daß du in meiner Gegenwart fluchst«, schalt die Mutter. »Du klingst genau wie dein Vater.« Die Gräfin war eine stattliche, strenge Frau, die die Ungezügeltheit ihres ersten Mannes nur schwer hatte erdulden können. »Wie kannst du es auch nur erwägen, das Königshaus in Gefahr zu bringen? Hast du denn überhaupt kein Pflichtgefühl gegenüber deiner Klasse?«
»Brook ist ein schlechter Mensch, Gräfin«, warf Violet ein. »Er ist in vieler Hinsicht völlig unberechenbar. Sicher würde die Königin seinen Charakter berücksichtigen, falls sich ein Zwist entwickelte?«
»Was weiß sie denn schon in ihrer Abgeschiedenheit auf Windsor, außer dem, was man ihr mitteilt?« 23 erwiderte Gräfin Ross. »Und was sie hört, könnte unsere Familie in Mißkredit bringen. Ich dulde das nicht, Angela. Hast du mich verstanden?«
»Mutter«, sagte Angela leise seufzend, »misch dich bitte heute nicht in mein Leben ein. Ich bin sehr müde.«
»Ich hatte gehofft, du würdest dabei wenigstens an deine Schwestern und an mich denken«, fuhr die Gräfin fort, als hätte ihre Tochter nichts gesagt. »Stell dir doch einmal vor, was ein Skandal für Millie und Dolly bedeuten würde. Ganz zu schweigen von den Sutherlands. Sie denken doch an nichts anderes als an Anstand und Sitte.«
»Edward ist ziemlich normal, Mutter, und was Millie und Dolly betrifft, da bin ich sicher, daß sie mir ein wenig Glück wünschen.«
»Du bist immer schon egoistisch gewesen, Angela«, gab die Mutter verdrießlich zurück. »Nie waren dir andere wichtig, immer nur du selbst. Dafür mache ich teilweise deinen Großvater verantwortlich. Er hat vor seinem Tod viel zu viel Zeit mit dir verbracht. Manchmal
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