Zügel der Leidenschaft
bist du ihm geradezu bemerkenswert ähnlich. Er hat sich niemals auch nur einen Pfifferling um gute Manieren geschert.«
In Wirklichkeit jedoch meinte sie, wie Angela genau wußte, daß ihr Großvater einen Fehler begangen hatte, seiner Enkelin sein gesamtes Vermögen zu hinterlassen, statt seine Schwiegertochter als Treuhänderin einzusetzen. »Großpapa lag daran, daß Easton gut geführt wird«, erwiderte Angela leise, weil die Litanei ihrer Fehler ihr nur allzu vertraut war.
»Ich bin sicher, es besteht keinerlei Notwendigkeit für diese extravaganten Ausgaben, die du für diesen alten Steinkasten aufwendest. Und deine Landwirtschaft – Himmel, Angela, kommen andere Güter nicht ohne diesen neumodischen Firlefanz über die Runden?«
»Das tun sie gewiß, Mutter, und ich bin sicher, in allem anderen hast du auch recht«, meinte Angela erschöpft, viel zu entmutigt, um sich gegen die unaufhörlichen Angriffe ihrer Mutter zu verteidigen.
»Daher wirst du dir sicherlich Mühe geben, nett zu Brook zu sein«, beharrte Gräfin Ross.
»Ich will ihn nie wieder sehen, Mutter. Tut mir leid, aber daran wirst du dich gewöhnen müssen«, antwortete Angela mit fester Stimme, denn in diesem Punkt blieb sie stahlhart, ob erschöpft oder nicht. »Er versetzt die Kinder in Angst und Schrecken, und das dulde ich nicht.«
»Ich bin sicher, daß sie viel zu jung sind, um sein Verhalten zu verstehen.«
»Nein, sie sind zu jung, um ihn erdulden zu müssen.«
»Also, ich verstehe einfach nicht, warum du nicht zumindest höflich zu ihm sein kannst«, beharrte die Gräfin selbstgerecht. »Andere Leute regeln ihr Leben doch ohne solche hysterischen Ausbrüche.«
»Ich bin nicht hysterisch, Mutter. Ich lasse mich einfach nur nicht mehr von Brook oder von seinen Schwestern unterkriegen. Das ganze dauert nun schon achtzehn Jahre. Ich finde, es ist an der Zeit, seine Präsenz in meinem Leben zu verringern.«
»Dein Stiefvater wäre über diese Haltung sehr enttäuscht, Angela. Ich bin froh, daß er nicht mehr am Leben ist und sich solchen Egoismus anhören muß.«
»Ich will den Ein-Uhr-Zug nach Easton nehmen, daher muß ich jetzt gehen«, bemerkte Angela. Ihre Gefühle waren zu angespannt, um die Mutter noch länger aushalten zu können. »Danke für die Schokolade«, fügte sie höflich hinzu und schob die volle Tasse von sich. »Und falls du Gwendolyn wieder siehst, dann sag ihr, sie soll vor ihrer eigenen Tür kehren.«
»Das werde ich sicher nicht tun. Sie ist eine Verwandte, ob dir das gefällt oder nicht.«
Violet erhob sich als erste, worauf Angela sie dankbar anlächelte. »Ich bringe Angela zum Zug, Gräfin. Dudley läßt grüßen.«
»Er ist immer so höflich«, sagte Angelas Mutter. »Ich bin sicher, du bist in der Ehe mit ihm sehr glücklich. Ganz im Gegensatz zu Angela, die die Pflichten einer Ehefrau einfach nicht zu begreifen scheint.«
»Dudley und ich kommen fabelhaft miteinander aus«, erwiderte Violet mit einem leichten Anflug von Spott. »Er liebt mein Geld.«
»Das sollte er auch. Und ich bin sicher, auch Brook schätzt Angelas Vermögen. Du siehst, andere Frauen passen sich besser an.«
»Ja, Mutter«, sagte Angela, der es nur noch unter größten Anstrengungen gelang, zu lächeln. »Ich werde May von dir grüßen.«
»Um Himmels willen, sie ist doch erst zwei Jahre alt. Was weiß sie denn von solchen Dingen. Denk immer daran, was ich dir eben gesagt habe. Die Pflicht geht über alles.«
Angela wurde plötzlich übel.
Sie wandte sich um, verließ den Raum und überließ es Violet, sich zu verabschieden.
»Entweder werde ich sofort ohnmächtig«, sagte Violet, als sie in der Halle wieder zu ihr trat, »oder ich muß mich übergeben. Welches von den beiden, weiß ich noch nicht. Herrgott, ist sie furchtbar. Und du hast dich noch nicht mal von der gestrigen Nacht erholt«, fügte sie besorgt hinzu. »Warum nimmst du nicht einen späteren Zug und schläfst bei mir eine Stunde?«
»Ich will nach Hause.«
»Meinst du nicht, daß er seine Haltung ändert?« fragte Violet, die von Kits Auftauchen am gestrigen Abend und seinem erneuten Heiratsantrag wußte.
»Nein«, antwortete Angela leise. »Das kann er ebensowenig wie ich. Immerhin hat mein Leben auf Easton einen Sinn. Ich kann es kaum abwarten, wieder dort zu sein.«
Kit hatte sich in der letzten Zeit vorwiegend damit beschäftigt, Vorkehrungen für seine kommende Reise zu treffen. Einen Morgen brachte er allerdings auch damit zu, Geschenke für May
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