Zügel der Leidenschaft
Menge anderer Schiffe, die sie chartern konnte.
»Schlechte Nachrichten?« fragte Henry, als Kit das Telegramm in der Faust zerknüllte.
»Ich bin nicht ganz sicher«, sagte Kit leise und schob das Papier in die Tasche. »Wieviel Zeit haben wir noch bis zum Ende der Abendflut?« Das war eine rhetorische Frage, denn Kit kannte sich in den Gezeiten besser aus als alle anderen.
»Vier Stunden«, antwortete Henry. »Aber mit dem neuen Kiel brauchen wir vielleicht etwas weniger.«
Kit blickte zum Vollmond auf, als wolle er die Zeit abschätzen, und zog das Telegramm wieder aus der Tasche. Er glättete es mit den Fingern und las die Botschaft noch einmal. Angela hatte es vor zwei Stunden abgeschickt.
Er hätte vor zwei Stunden schon segeln können.
Sie hatte nicht um eine Antwort gebeten.
Sie hatte keine Ahnung, wann er abfahren wollte.
Hölle und Verdammnis, fluchte er und warf das Telegramm fort.
Aber als eine Windböe das Stück Papier bis ans Ende des Kais zu treiben begann, sprang er hinterher, schnappte danach und rief Henry Watson zu, der seine Neugier nur mühsam und höflich beherrschen konnte: »Sag der Mannschaft, sie können sich für die Nacht zurückziehen. Wir segeln erst morgen früh.«
Dann ging er über den monderhellten Kai zurück zum Hotel, das er kurz zuvor erst verlassen hatte.
Es stellte sich heraus, daß Angela sich nicht sofort auf den Weg machen konnte, denn als sie vom Telegrafenamt zurückkam, war Brook in Lawton House aufgetaucht. Ihr Butler sagte nervös: »Er ist im chinesischen Salon, Mylady. Er hat darauf bestanden, auf Ihre Rückkehr zu warten.«
»Sie hatten keine andere Wahl, Childers. Das verstehe ich. Der Graf benimmt sich selten so wie andere es wünschen.« Dann zwang sie sich, vor ihren schwierigen Ehemann zu treten, auch wenn schreckliche Angst sie fast zermürbte.
»Ich sah das Licht brennen und dachte mir schon, daß du in der Stadt bist«, grinste der Graf. Stark angetrunken lächelte er ihr entgegen, als sie den Salon betrat.
Es war immer ein Grund zur Sorge, wenn Brook lächelte. »Es ist schon spät, Brook. Wenn du etwas mit mir besprechen möchtest, dann komm doch morgen früh vorbei. Ich will mich jetzt lieber zurückziehen.«
»Es kann aber nicht bis morgen warten, Schatz«, sagte er träge. »Die verdammten Gläubiger werden verdammt ungeduldig. Brauch ein bißchen Geld, um alles wieder ins Lot zu bringen.«
»Heute abend kann ich dir nicht aushelfen«, gab Angela zurück, die sich von ihrem Platz bei der Tür nicht gerührt hatte.
»Diese Lofton-Maus hat mir einen kindischen Brief geschickt und gefragt, ob Fitz ihr nicht schreiben will«, sagte Brook leise. »Sie ist offensichtlich sehr verliebt. Ich hatte mir auch gedacht, May für eine Weile zu mir zu nehmen«, fuhr er hämisch fort – seine lässige Pose wirkte ebenso siegessicher wie seine Stimme. »Ich bin sicher, das vor Gericht durchsetzen zu können, wenn du mir nicht zustimmst. Väter haben ein Recht darauf, ihre Kinder zu sehen, oder?«
»Wieviel willst du?« fragte sie voller Abscheu.
»Siebzigtausend würden mich eine Weile über Wasser halten.« Sein Grinsen war triumphierend.
»Geh morgen früh zu meiner Bank«, erwiderte Angela knapp. »Ich werde Anweisung erteilen.«
Sofort tat es ihm leid, nicht um mehr gebeten zu haben, so bereitwillig hatte sie zugestimmt.
»Childers wird dich hinausbegleiten«, unterbrach sie seine trunkenen Gedanken. Sie öffnete die Tür und rief den Butler, der sich schon im Vestibül bereithielt. Das Personal in Lawton House hielt stets ein wachsames, schützendes Auge auf die Gräfin, wenn der Graf sich hier aufhielt. Dessen Ruf war bekannt.
Nun entfernte sie sich von ihrem teuren Gatten und durchschritt rasch die Halle zu ihrem Arbeitszimmer. Wegen Brooks Auftauchen mußte sie jetzt noch einen Brief an ihre Bank schreiben; außerdem mußte sie, so spät es auch war, Violet noch aufsuchen, ehe sie nach Plymouth aufbrechen konnte.
Ein schläfriger Diener brachte Angela in Violets Boudoir, wo sie die Freundin begrüßte, die sich, von Angelas Ankunft unterrichtet, gerade aus dem Bett erhoben hatte.
»Was bringt dich nur zu dieser Stunde hierher?« fragte sie besorgt, denn solche späten Besuche waren ungewöhnlich. Und Angela war nicht auf dem Heimweg von einer Gesellschaft – sie trug Reisekleidung.
»Ich muß dich um einen Gefallen bitten.«
»Selbstverständlich. Setz dich und sag mir, um was es geht«, bot Violet an und trat zu einem Sessel beim
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