Zügel der Leidenschaft
darin schwimmen zu lassen. War es denn fair von ihr, einfach hier aufzutauchen und so viel von ihm zu verlangen?
Vielleicht beeinflußte eine Art Rachegefühl seine Entscheidung, ein brutales quid pro quo. Vielleicht handelte es sich aber auch um etwas Fleischlicheres, Elementareres?
»Ich bin bereit, dir zu helfen«, sagte er mit völlig ausdrucksloser Stimme, »aber nur unter einer Bedingung.«
»Alles, was du willst«, rief sie, und ihre Augen leuchteten durch die Tränen auf.
»Du mußt vier Monate bei mir bleiben«, sagte er leise.
Sie sah ihn mißtrauisch und erstaunt an. »Wie meinst du das ... bei dir bleiben?«
»Fahre mit mir zum Pearl River. Die Reise dauert vier Monate. Wir können Fitz vorher zurück nach England bringen, falls er das wünscht. Du willst vermutlich ohnehin May bei dir haben. Fitz kann aber auch mit uns fahren, wenn er will. Das ist alles.«
»Und ich würde mit dir schlafen«, murmelte sie leise und blickte ihn direkt an.
»Natürlich. Sehr natürlich.« Darin lag keinerlei Entschuldigung.
»Kannst du mich wirklich zu einem solchen Zeitpunkt um so etwas bitten?« Entrüstung schwang in ihrer Stimme mit.
»Du bittest mich, alte Wunden wieder aufzureißen. Dies ist eine reine Geschäftsabmachung. Ich gebe dir, was du willst, und du gibst mir, was ich will. Vielleicht überlebe ich diesen Aderlaß.« Und das von einem Mann, der zweiundzwanzig Handelsniederlassungen rund um die Welt besaß.
»Du bist kalt und ohne Gefühl.«
»Nein, du bist es. Du machst mein Leben zur Hölle.«
Darauf folgte ein spannungsgeladenes Schweigen, und Wut und Verzweiflung schwängerten die Atmosphäre in dem kleinen Raum.
»Das tut mir leid«, sagte Angela schließlich. Sie begriff nicht, daß ihm in seinem bisherigen Leben tatsächlich Unglück erspart geblieben war – bis er ihr begegnete. Er hatte eine wohlbehütete Kindheit gehabt, war geliebt und gehätschelt worden, ein Jüngling mit Reichtum, gutem Aussehen und Talenten: Ein Mann, dem die Welt zu Füßen lag.
Was für Unannehmlichkeiten hatte er schon erlebt?
»Gut«, stimmte sie zu. »Ich tue alles, um meinen Sohn zu retten.« Ihre Stimme klang herausfordernd. Doch dann änderte sie ihren Tonfall – wandelbar wie ein Chamäleon. »Danke«, sagte sie demütig und dankbar.
Er war trotz seiner Bedingung großzügig, und sie stand in seiner Schuld.
»Wann können wir lossegeln?« fragte sie einen Herzschlag später. Ihre Stimme klang nun lebhaft, die Trauer war von ihrem Gesicht gewichen, und die vertraute Lebhaftigkeit glänzte in ihren Augen auf.
Und unfreiwillig mußte auch er lächeln.
»Sofort«, sagte er und bot ihr seine Hand.
Er machte sich allerdings nicht die Mühe, sie bei der schnellen Fahrt gen Süden an ihre Abmachung zu erinnern – vielleicht aus Taktgefühl, aus Respekt vor ihrer Angst um Fitz – vielleicht aber auch aus Angst vor sich selbst und seinem künftigen Herzeleid.
Er mied sie, wie er nur konnte, hielt sich meist auf der Brücke auf, ließ sich die Mahlzeiten hochbringen und ging nur nach unten in seine Kabine, um sich zu waschen oder umzukleiden, wenn er sicher war, daß sie schlief. Außerdem ordnete er an, daß die Lady sich bitte unter Deck aufhalten möge.
Angela gehorchte ihm bereitwillig, weil sie seine ehrenhaften Absichten respektierte; sie wußte aber auch besser als manche andere, wie schwierig und anstrengend die Aufgabe eines Kapitäns war, wenn die Maschinen mit voller Kraft durch die aufgewühlte See stampften.
Sie fuhren durch schweres Winterwetter und hielten sich unter dem Angriff der Stürme, die sie immer wieder nach Osten abdrängen wollten, nur mühsam auf Kurs. Nach dem dritten Tag hielten sie ununterbrochen Ausschau nach der Adelaide. Angela marschierte angespannt und voller Angst durch ihre kleine Kabine. Ihr fielen sämtliche Geschichten über Fieber und Epidemien auf Truppenschiffen wieder ein, und ihre Gedanken waren unaufhörlich mit schrecklichen Vorstellungen befaßt. Immer wieder studierte sie die Karten, die Kit ihr verständnisvoll nach unten geschickt hatte, und bestürmte die Stewards jedesmal, wenn sie mit einer Mahlzeit ihre Kabine betraten, mit allen möglichen Fragen nach dem Verlauf der Reise.
Kit blieb am Steuer, abgesehen von kurzen Schlafpausen, weil sein Gehirn zu erregt war, um jeweils mehr als nur ein paar Momente einzunicken. Seinen Kopf durchfuhren die gleichen ungünstigen Gedanken: Die Unsicherheit, ein Schiff mit einem solchen Vorsprung einzuholen, die
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