Zügel der Leidenschaft
die deren bürgerliche Herkunft bei weitem wettmachten.
»Wie du.«
»Wie ich. Aber ich habe ihm noch nie Geld geliehen – noch habe ich das vor. Er hat genug für jemanden, der nichts weiter zu tun hat, als Tag für Tag nur ein- und auszuatmen.«
»Du findest ein solches Leben verabscheuenswert?«
»Nur, wenn es zu ernst genommen wird. Ich finde, daß man für seinen Lebensunterhalt arbeiten sollte.«
»Reicht es denn aus, ein Anwesen zu leiten?« fragte sie herausfordernd.
»Wenn es gut gemacht wird«, antwortete er knapp.
»Mein Großvater hat mir beigebracht, wie man dafür sorgt, daß Easton gut läuft.«
»Mit Erfolg, wie es scheint.«
»Ich habe zwei Schulen und eine kleine Nähstube für junge Frauen. Mein landwirtschaftliches Kolleg, das ich bald eröffnen werde, ist für Männer und Frauen.« Ihre Stimme klang stolz.
»Das hat Bertie mir erzählt.«
»Der findet das albern.«
»Bertie hat keine Ahnung von gesellschaftlichen Veränderungen.«
»Ich habe ein Gespräch zwischen ihm und meinem Freund W. T. Stead vermittelt, der ihm die Ziele der Sozialistischen Partei klarmachen wollte, aber Bertie war bloß höflich.« 13
»Ich weiß.«
»Er hat vermutlich darüber gespottet.«
»Nun, sagen wir, Bertie betrachtet Frauen vornehmlich als ... Unterhaltung.«
»Und du nicht?«
»Manchmal, aber nicht immer. In deinem Fall ganz bestimmt nicht.«
»Wie wunderbar süß Sie sind, Mr. Braddock.«
»Nenn mich doch Kit«, bat er grinsend.
»Ich weiß noch, als du das zum ersten Mal sagtest.«
»In deinem Schlafzimmer in Cowes.«
»Ich habe dich an diesem ersten Abend sehr begehrt.« »Das habe ich gemerkt.«
»Und Olivia verabscheue ich geradezu, verdammt.«
»Ich teile deine Abneigung, Liebling, glaube mir.«
»Aber du konntest ihr trotzdem nicht widerstehen.«
»Ich war zutiefst frustriert.«
»Kann ich diese Entschuldigung auch einmal benutzen?«
»Solange es mit mir ist.«
Sein Tonfall jagte ihr einen Schauder den Rücken hinab – die Endgültigkeit, die tonlose Sicherheit, das Gefühl einer Zukunft, an die sie nicht zu denken wagte. »Küß mich bitte«, flüsterte sie, weil sie die Angst vor dem Unbekannten auslöschen wollte, vor einer Zukunft, die sie niemals erleben würden. Sie wollte ihn hier und jetzt, in dieser Minute, denn der Rest war zu traurig, um auch nur daran zu denken.
»Es könnte uns jemand sehen.«
Sie blickte sich um und beugte sich dann zu ihm, um seinen Mund mit ihren Lippen zu berühren.
»Du bist tollkühn«, murmelte er und ließ seine Hände unter ihre Arme gleiten. »Daher liebe ich dich vermutlich auch so.« Er stand auf und zog sie mit sich hoch.
»Sag es noch einmal, sag mir, daß du mich liebst.« Ihre Stimme zitterte wie bei einem ganz jungen Mädchen. Sie hatte noch nie die Liebe eines Mannes gewollt. Doch jetzt wünschte sie sich genau das mit alberner Verzweiflung.
Einen Sekundenbruchteil schien es, als könne sie das Gras wachsen hören, so still war es am Seeufer, und sie wünschte sich, diese dummen Worte nie ausgesprochen zu haben.
»Ich liebe dich«, erwiderte Kit tonlos, ganz schlicht und einfach. »Das habe ich noch nie in meinem Leben gesagt«, fügte er leise hinzu.
»Ich auch nicht.«
»Dann mußt du es auch sagen. Das ist nur gerecht.«
»Ich weiß nicht, ob ich es kann.« »De Grae hat so viel in dir zerstört.«
»Ja«, flüsterte sie.
»Sag mir später, daß du mich liebst«, erklärte er sanft. »Ich weiß es ohnehin.«
Sie nickte, während Tränen in ihren Augen aufstiegen. Wegen dieser Tränen wollte er de Grae umbringen – für das, was er ihr angetan hatte.
Er ließ eine Hand unter ihre Beine gleiten und schwang sie hoch in seine Arme. »Zum Teufel mit deinen Gästen«, murmelte er. »Jetzt kommst du mit mir.«
14
Auf dem Rückweg nach Stone House sprach er über May – wie gescheit sie wäre, wie gut sie sich für eine Zweijährige ausdrücken könne, wie hübsch und lebhaft sie sei – genau wie ihre Mutter. Er sprach auch von seinem Aufenthalt in London und den Leuten, die er nach den Tagen auf Schloß Morton besucht hatte. Seine Stimme klang beruhigend, sein Verhalten war tröstlich, und er bat sie weder um Antworten, noch erwartete er welche. Sein Monolog sollte sie lediglich von ihren melancholischen Gedanken ablenken.
Viel später, als er sie durch den Obsthain hinter Stone House trug und sein Lob für ihr Renovierungsobjekt ihr Herz erwärmte, hob Angela den Kopf von seiner Schulter und küßte ihn auf die
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