Zuflucht Im Kloster
holte den Schlamm, der feinen Kies und einen winzigen Stengel Wasserhahnenfuß enthielt, heraus.
»Das dachte ich mir schon, als ich das Wasser aus ihm herauslaufen lassen wollte und er nur eine Handvoll hergab.
Bei einem Ertrunkenen ist die Nase nicht mit Schlamm und Gras verstopft.« Mit den Fingern schob er die Lippen des Toten auseinander und sah, daß der Mund aufgerissen war, als habe Peche im Augenblick des Todes einen Schrei ausgestoßen.
Vorsichtig öffnete er ihn noch weiter. Zwischen den großen, unregelmäßigen Zähnen hingen Hahnenfußstengel. Auch die anderen, die die Bahre umstanden, konnten sehen, daß der Rachen ganz von Flußschlamm verstopft war.
»Ich brauche eine Schale«, sagte Cadfael, ohne aufzusehen, und Beringar reagierte schneller als Madog und reichte Cadfael das nächste Gefäß, das zur Hand war: eine silberne Schale, die unter dem im Augenblick nicht brennenden Altarlicht stand. Abt Radulfus erhob keine Einwände. Cadfael fuhr mit dem Finger in den Mund des Toten und holte einen dicken Klumpen Schlamm heraus, in dem kleine Steinchen und Pflanzenteile klebten. »Da seine Kehle hiermit verstopft war, konnte er gar kein Wasser schlucken.
Kein Wunder, daß ich nichts aus ihm herausbekam.« Vorsichtig tastete er in Peches Mund umher und zog noch einige kleine Stengelchen Wasserhahnenfuß, fein wie Haar, hervor. Dann stellte er die Schale beiseite.
»Wollt Ihr damit sagen«, fragte Beringar, der aufmerksam zugehört hatte, »daß dieser Mann nicht ertrunken ist?«
»Ja, er ist nicht ertrunken.«
»Aber er hat im Fluß den Tod gefunden, sonst hätte er ja nicht diese Wasserpflanzen in der Kehle gehabt.«
»Das stimmt. Er ist im Fluß gestorben. Wohlgemerkt – ich weiß ebensowenig wie Ihr, und wie Ihr muß ich aus den Hinweisen, die wir haben, meine Schlüsse ziehen.« Cadfael sah Madog an, der die Zeichen vermutlich besser zu deuten vermochte als irgendein anderer. »Könnt Ihr mir folgen?«
»Ich bin Euch schon voraus«, sagte Madog. »Aber fahrt nur fort. Für einen, der sich wie ein Blinder an die Wahrheit herantasten muß, seid Ihr schon recht weit gekommen.«
»Ehrwürdiger Vater, ich bitte Euch um Erlaubnis, den Toten auf den Bauch drehen zu dürfen, so wie ich ihn gefunden habe.«
Mit seinen schmalen, sehnigen Händen half Radulfus selbst, den Leichnam umzudrehen. Vorsichtig drehte er den Kopf zur Seite, so daß er auf der linken Wange ruhte.
Baldwin Peche war zwar ein Genießer gewesen, hatte aber dennoch einen starken, gesunden Körper, mit breiten Schultern und kräftigen, muskulösen Armen und Beinen. Der Körper zeigte bereits die ersten Leichenflecke, und diese waren seltsam genug. Die Platzwunde hinter seinem rechten Ohr war klar und deutlich zu sehen, aber alles andere gab Rätsel auf.
»Diese Kopfverletzung hat er nicht von einem Stück Treibholz oder einem Stein, an den er gestoßen ist«, sagte Madog mit Nachdruck. »Das ist in diesem Abschnitt des Flusses ganz unmöglich. Hier, weiter oberhalb, zwischen den Flußinseln, könnte er an einen Stein gestoßen sein, obwohl auch das nicht wahrscheinlich ist. Nein, das hier kommt von einem Schlag, den er von hinten bekommen hat, bevor er ins Wasser fiel.«
»Dann ist die Vermutung, daß es sich hier um Mord handelt, also berechtigt«, sagte Radulfus ernst.
»Ja«, sagte Cadfael, »irgend jemand hat ihn umgebracht.«
»Und dieser Mann war der Nachbar des Goldschmiedes, der ausgeraubt wurde, und könnte tatsächlich etwas herausgefunden haben, was – ob er es nun verstand oder nicht – zur Aufklärung dieses Verbrechens hätte beitragen können?«
»Das ist möglich. Er hatte ein reges Interesse an anderen Menschen«, antwortete Cadfael vorsichtig.
»Wenn der Täter das gewußt hat, wäre das also ein starkes Motiv«, sagte der Abt nachdenklich. »Und da dies nicht das Werk eines Mannes sein kann, der den Klosterbezirk die ganze Zeit nicht verlassen hat, entlastet dieser Mord den Gaukler von dem Vorwurf der ersten Tat. Das würde bedeuten, daß der wirkliche Mörder noch frei herumläuft.«
Wenn Beringar derselben Überzeugung war, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Stirnrunzelnd stand er neben der Bahre und betrachtete den Toten nachdenklich. »Es sieht also so aus, als habe er einen Schlag auf den Kopf erhalten und sei in den Fluß geworfen worden. Und dennoch ist er nicht, ertrunken. Er hat – bei Bewußtsein oder in bewußtlosem Zustand – Schlamm, Kieselsteine und Wasserpflanzen
Weitere Kostenlose Bücher