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Zuflucht Im Kloster

Zuflucht Im Kloster

Titel: Zuflucht Im Kloster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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so schlecht behandelt hat. Sie hielt mehr von Euch als von jedem anderen.«
    »Sie war im Geist wieder in jener Zeit, wo dieser Haushalt ihr unterstand«, sagte Susanna, »und sie, wie ich bis heute, die ganze Last auf ihren Schultern trug. Die Alten durchleben kurz vor ihrem Tod noch einmal ihre Vergangenheit.« Ihre großen, durchdringenden Augen funkelten im schwachen Licht der Kerze. »Du hast deine Hand verbrannt«, sagte sie. »Das tut mir leid.«
    »Es macht nichts«, sagte Rannilt und versteckte ihre Hände rasch in ihrem Schoß. »Ich war ungeschickt. Das Seil hatte Feuer gefangen. Es tut nicht weh.«
    »Das Seil…?«
    »Mit dem das Bündel verschnürt war, das da lag. Es war an einem Ende ausgefranst und hatte Feuer gefangen.«
    »Wie schade!« sagte Susanna und betrachtete einige Augenblicke lang schweigend das Gesicht ihrer toten Großmutter. Das Zucken um ihre Mundwinkel war zu schwach, als daß man es hätte ein Lächeln nennen können. »Du hast also ein Bündel gesehen. Und ich trug meinen Umhang… ja!
    Dir ist nicht viel entgangen, wenn man bedenkt, wieviel Angst wir dir eingejagt haben müssen.«
    Während der langen Stille, die folgte, betrachtete Rannilt ehrfürchtig das Gesicht ihrer Herrin. Sie war gegangen, wo zu gehen sie kein Recht gehabt hatte, und nun fühlte sie sich bei einer Übertretung ertappt, die sie nie beabsichtigt hatte.
    »Und jetzt fragst du dich natürlich, was in dem Bündel gewesen und wohin es verschwunden ist, bevor wir die Lichter angezündet haben. Das Bündel und mein Umhang!« Streng und zugleich halb lächelnd blickte Susanna in Rannilts erschrockenes Gesicht. »Es ist ganz natürlich, daß du dich wunderst.«
    »Seid Ihr zornig auf mich?« flüsterte Rannilt.
    »Nein. Warum sollte ich zornig sein? Ich glaube, du hast manchmal für mich empfunden, wie eine Frau für eine Frau empfindet. Ist es nicht so, Rannilt?«
    »Heute morgen…«, begann Rannilt und fürchtete, schon wieder zu weit zu gehen, »da tatet Ihr mir einfach leid…«
    »Ich weiß. Du hast selbst gesehen, wie wenig man mich hier achtet.« Vorsichtig tastete sie sich vor, wie eine Frau, die mit einem Kind spricht, aber mit einem Kind, an dessen Zuneigung ihr liegt. »Man hat mich immer schon geringgeschätzt. Meine Mutter ist gestorben, meine Großmutter ist alt geworden, und ich war so lange von Nutzen, bis mein Bruder sich eine Frau nahm. Ja, nicht einen Tag länger. All die Jahre, in denen ich für sie geschuftet habe, waren umsonst, und da stehe ich nun – ohne Mann, ohne Kinder und ohne eine Aufgabe.«
    Wieder trat eine Stille ein, denn obgleich Rannilt vor Empörung über diese Ungerechtigkeit zitterte, brachte sie keinen Ton heraus. Ein leichter Luftzug, der durch die Dachbalken des hohen Zimmers fuhr, ließ die Kerze flackern.
    »Rannilt«, sagte Susanna ernst, »kannst du ein Geheimnis bewahren?«
    »Wenn Ihr es mir anvertraut, werde ich schweigen«, flüsterte Rannilt.
    »Wenn du schwörst, keinem etwas davon zu sagen, werde ich dir etwas erzählen, das niemand sonst weiß.«
    Gehorsam schwor Rannilt, Schweigen zu bewahren. Sie fühlte sich geschmeichelt, daß ihre Herrin so viel Vertrauen zu ihr hatte.
    »Und wirst du mir bei dem, was ich vorhabe, helfen? Deine Hilfe wäre mir willkommen… Ich brauche deine Hilfe!«
    »Ich werde für Euch tun, was ich nur kann.« Niemand hatte je Treue von ihr erwartet oder erbeten, niemand hatte je auch nur in Erwägung gezogen, sie könnte vielleicht mehr sein als ein einfaches, dummes, schwaches Ding – kein Wunder, daß sie von ganzem Herzen bereit war, auf Susannas Bitte einzugehen.
    »Ich glaube und vertraue dir.« Susanna beugte sich vor, so daß das Licht auf ihr Gesicht fiel. »Mein Bündel und meinen Umhang habe ich in meiner Kammer versteckt, bevor ich mit der Kerze zurückkam. Wenn diese Totenwache nicht wäre, Rannilt, hätte ich heute nacht dieses Haus verlassen, in dem mir jahrelang Unrecht zugefügt wurde. Ich hätte dieser Stadt den Rücken gekehrt, in der ich nicht als ehrenwerte Frau angesehen werde. Heute nacht hat Gott es verhindert. Aber morgen nacht… morgen nacht werde ich gehen! Wenn du mir hilfst, kann ich mehr von meinen Habseligkeiten mitnehmen, als ich allein das erste kurze Stück des Weges tragen kann. Komm näher, mein Kind, und ich werde dir etwas verraten.« Ganz leise flüsterte sie in Rannilts Ohr: »Jenseits des Flusses, beim Stall meines Vaters hinter Frankwell, wartet jemand auf mich, der meinen wahren Wert

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