Zuflucht Im Kloster
kennt…«
11. Kapitel
Freitag – vom Morgen bis zum späten Abend
Die Familie saß bedrückt am Frühstückstisch, als Susanna, die Schlüssel an ihrem Gürtel, eintrat. Sie löste die dünne Kette, die den Bund hielt, und legte ihn vor Margery auf den Tisch.
»Diese Schlüssel gehören jetzt dir, Schwägerin, wie du es gewollt hast. Von heute an wirst du diesen Haushalt rühren, und ich werde mich nicht einmischen.«
Sie war blaß und hatte Augenringe von der durchwachten Nacht, aber auch die anderen sahen nicht viel besser aus. Sie alle würden froh sein, wenn sie sich, sobald die Abenddämmerung kam, zu Bett legen konnten, um den versäumten Schlaf aufzuholen.
»Ich werde nachher mit dir in die Küche und die Vorratskammer gehen und dir alles zeigen. Für die Wäsche und den Hausrat trägst du jetzt die Verantwortung. Ich wünsche dir alles Gute«, sagte sie.
Margery war beinah sprachlos angesichts dieser Großzügigkeit und gab sich, während sie durch ihr neues Reich geführt wurde, große Mühe, sich versöhnlich zu zeigen.
»Und jetzt«, sagte Susanna, nachdem sie sich dieser Pflicht entledigt hatte, »werde ich bei Martin Bellecote einen Sarg für sie in Auftrag geben, und Vater muß mit dem Priester von St.
Maria sprechen. Aber danach würde ich, wenn Ihr mich entschuldigt, gern noch etwas schlafen, und das gilt auch für das Mädchen hier, denn keine von uns hat heute nacht ein Auge zugemacht.«
»Ich werde schon allein zurechtkommen«, sagte Margery,»und versuchen, dich heute nicht zu stören. Wenn ich das, was ich für das Mittagessen brauche, jetzt aus der Vorratskammer hole, muß ich später nicht mehr durch dein Zimmer gehen.« Sie war hin und her gerissen zwischen Triumph und Bescheidenheit. Ein Todesfall im Haus war nichts Schönes, aber die erste tiefe Trauer würde nur einige Tage währen, und dann stand der Verwirklichung ihrer Pläne nichts mehr im Wege. Die alte Frau mit ihren wachsamen Augen, die ihre besten Bemühungen noch immer nicht gut genug gefunden hätte, war tot, diese alternde Jungfer würde ihr gewiß nicht mehr hineinreden, und sie, Margery, würde von nun an die Herrin des Hauses und eines Mannes sein, der nach ihrer Pfeife tanzte.
Bruder Cadfael verbrachte den frühen Nachmittag im Kräutergarten und ging, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß alles in Ordnung war, zur Gaye, um zu sehen, welche Fortschritte die Arbeit dort machte. Das Wetter war noch immer sonnig und warm, und die Kinder aus der Stadt und aus der Klostersiedlung, die am Fluß aufwuchsen und fast früher schwimmen als laufen konnten, tummelten sich an den seichten Uferstellen. Die kühneren und kräftigeren unter ihnen trauten sich sogar, bis zur Mitte des Flusses zu schwimmen, wo die Strömung recht stark war. Die Frühlingsflut war vorüber, und der Fluß machte einen ungefährlichen Eindruck, aber die Kinder kannten ihn zu gut, um ihm allzusehr zu vertrauen.
Cadfaels Gedanken beschäftigten sich noch immer mit dem Tod von Frau Juliana. Er ging durch den blühenden Obstgarten und dann weiter flußabwärts, bis er ungefähr gegenüber den Garten jener Bürgerhäuser stand, die an der Straße zur Burg lagen. Die Stadtmauer zog sich auf halber Höhe des Hügels hin. Die Mauerkrone war seit der Belagerung der Stadt vor zwei Jahren an einigen Stellen beschädigt und noch immer nicht ausgebessert. Cadfael konnte zwei kleine, bogenförmige, in unruhigen Zeiten leicht zu verbarrikadierende Türen in der Mauer sehen. Durch eine von ihnen mußte man auf das Grundstück der Aurifabers kommen, aber er wußte nicht, welche es war. Der Abhang unterhalb der Mauer leuchtete in frischem Grün, und die Bäume trugen junge Blätter und weiße Blüten. Die Erlen mit ihren rosigen Blütenkätzchen neigten sich schlank über das Wasser. Weidenzweige wiegten sich sanft im Wind. Diese Idylle konnte einen vergessen machen, daß ein armer Teufel vom Tod durch Erhängen bedroht und eine einzige Familie innerhalb weniger Tage von mehreren Schicksalsschlägen heimgesucht worden war.
Die Jungen der Klostersiedlung und die aus der Stadt waren seit altersher Rivalen und nahmen den Stolz ihrer Eltern auf ihre Heimat zum Vorwand für kleinere Raufereien. Ihre Wasserspiele uferten manchmal aus, waren aber selten gefährlich, und wenn einer der Jungen zu weit ging, war gewöhnlich ein älterer und besonnenerer zur Stelle, der ihn zurückhielt und das Opfer aus dem Wasser zog. Am gegenüberliegenden Ufer war gerade eine solche
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