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Zuflucht Im Kloster

Zuflucht Im Kloster

Titel: Zuflucht Im Kloster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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geholfen und nach ihm geschickt hätten, wäre er niemals rechtzeitig da gewesen, um die alte Dame sterben zu sehen, geschweige denn ihre letzten Worte zu hören. Aber was ließ sich aus ihnen schon schließen! »Ich habe sie erzogen… Und trotzdem hätte ich so gern noch meinen Urenkel gesehen…«
    Nun ja, ihr Enkel, der einzige, so hieß es, der ihrer Zuneigung sicher sein konnte, war nun ein verheirateter Mann. Ihr stolzer, unbeugsamer Geist mochte wohl daran gedacht haben, noch eine weitere Generation in ihren Armen zu halten.
    »Nein, komm nicht mit auf die Straße, mein Kind. Du wirst im Haus erwartet, und ich kenne den Weg.«
    Schüchtern, verwirrt und schweigend ging sie zurück. In Gedanken versunken machte sich Cadfael auf den Rückweg zum Kloster und überlegte, welchen Trost, welche Einsicht er aus den Ereignissen der letzten Stunden gewinnen konnte.
    Seine Bemühungen brachten nicht viel zutage. Juliana war gestürzt, und niemand war in ihrer Nähe gewesen. Sie hatte zweifellos einen Anfall gehabt, wie schon zweimal zuvor.
    Außerdem waren heute die Streitigkeiten in der Familie auf eine Art und Weiseausgebrochen, die das Herz der aufbrausenden alten Frau wohl sehr belastet haben mußte. Es war ein Wunder, daß es nicht schon früher zu diesem Anfall gekommen war.
    Und dennoch wollte es Cadfael nicht in den Kopf, daß dieser Tod nichts mit dem ersten und beide nichts mit dem Verbrechen zu tun haben sollten, dessen Liliwin angeklagt war.
    Es gab eine Verbindung, es mußte sie geben. Es konnte kein blinder Zufall sein, daß eine wohlanständige Bürgerfamilie so plötzlich einen tragischen Verlust nach dem anderen erlitt. Eine menschliche Hand hatte die Ereignisse in Gang gesetzt; eine Tat zog andere nach sich, und die Überlegung, wann ihre Energie sich endlich erschöpft haben und diese Ereigniskette ihr Ende erreicht haben würde, raubte Cadfael die halbe Nacht den Schlaf.
    Am Kopfende des Totenbettes in Julianas Zimmer leuchtete eine einzige Kerze wie ein feuriges Auge. Mitternacht war bereits vorüber, und die Nacht hing dunkel und still über der Stadt. Zur einen Seite des Bettes saß Susanna, die Hände über ihrem Schoß gefaltet, auf einem Schemel. Sie war jetzt ganz ruhig. Rannilt kauerte am Fußende des Bettes. Sie war sehr müde, wollte sich aber nicht auf ihr ärmliches Lager legen, denn sie war sicher, daß sie nicht würde schlafen können. Die Balken des Dachstuhls über ihnen verloren sich in der Finsternis. Die drei Frauen – die beiden lebenden und die tote – waren in einer engen, stummen Gemeinschaft vereint. Die Welt rückte für einige Stunden von ihnen ab.
    Juliana lag ausgestreckt auf dem Rücken. Ihr graues Haar war sorgsam gekämmt, ihr Gesicht nicht verhüllt, und das Laken war unter ihrem Kinn gefaltet. Ihr Gesicht begann sich zu entspannen und nahm einen friedlichen Ausdruck an.
    Keine der beiden Frauen, die die Totenwache hielten, hatte etwas gesagt, nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig gewesen waren. Susanna hatte Margerys zögerndes Angebot, ihr zu helfen, rundweg ausgeschlagen und keine Schwierigkeiten gehabt, die drei Mitglieder ihrer Familie loszuwerden. Sie waren erleichtert gewesen, sich wieder in ihre Betten legen und alles ihr überlassen zu können. Die Herrin und die Magd hielten allein Wache.
    »Ihr friert ja«, sagte Rannilt sehr leise, als sie sah, daß Susanna ein Schauer überlief. »Soll ich Euch Euren Umhang holen? Ihr hattet ihn doch schon im Vorratsraum an, als Ihr auf und ab gegangen seid, und nun sitzen wir hier, und es ist kühler als vorhin. Ich werde hinuntergehen und ihn holen.«
    »Nein«, sagte Susanna geistesabwesend. »Es war nur ein Schauder. Mir ist nicht kalt.« Sie wandte den Kopf und sah Rannilt mit einem langen, düsteren Blick an. »Hattest du so viel Mitleid mit mir, daß du meintest, du müßtest mit mir die Nacht durchwachen? Ich hatte das Gefühl, daß du sehr schnell da warst. Hast du alles mitangehört und -gesehen?«
    Rannilt erschauerte bei dem Gedanken, daß sie sich um etwas gekümmert hatte, das sie nichts anging, aber Susannas Stimme war gelassen und ihr Gesicht war ruhig. »Nein, ich habe nicht gelauscht, aber manches mußte ich einfach hören.
    Sie hat Eure Sparsamkeit gelobt. Vielleicht tat es ihr leid… Ich fand es seltsam, daß sie so über Euch dachte und gleichzeitig stolz darauf war, daß der Topf mit Hafergrütze noch halb voll war… Das habe ich gehört. Bestimmt hat es ihr schließlich leid getan, daß man Euch

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