Zuflucht Im Kloster
Schlag ihn bewußtlos machte oder nicht – jedenfalls lag er mit dem Gesicht nach unten im seichten Wasser. Wahrscheinlich wartete sie nicht, bis er wieder zu sich kam und versuchte aufzustehen, sondern nutzte ihre Chance. Gerade eben erst habe ich erfahren, daß ihr Rock und ihre Schuhe naß waren. Ihr erinnert Euch an die Hautabschürfungen und Blutergüsse auf seinem Rücken. Ich stelle mir vor, daß sie, sobald er zusammengebrochen war, auf seinen Rücken stieg und seinen Kopf unter Wasser hielt, bis er tot war.«
Beringar schwieg. Es war Liliwin, der einen leisen Schrei des Entsetzens ausstieß und erschauerte, als sei es plötzlich kalt geworden.
»Dann erwog sie mit kühler Berechnung die Möglichkeit, daß der Fluß die Leiche mit sich nehmen könnte, und sorgte dafür, daß sie dort, unter Wasser, bei den Erlen, blieb, bis sich im Schutz der Dunkelheit eine Gelegenheit bot, sie ins Wasser zu werfen, damit der Eindruck entstand, Peche sei beim Fischen ertrunken. Erinnert Ihr Euch an den tiefen Eindruck auf seiner Schulter? Auf der Trockenwiese liegt ein großer, scharfkantiger Stein, der aus der Stadtmauer gefallen ist. Und was die Münze betrifft, so lag sie unter ihm, und Susanna versuchte nicht, sie zu finden.«
Beringar holte tief Luft. »So könnte es gewesen sein! Aber es war nicht sie, die ihrem Vater in die Werkstatt folgte und ihn niederschlug, denn sie ist die einzige, von der wir genau wissen, daß sie während Walters Abwesenheit das Haus nicht verließ. Sie ging erst später hinaus, um nach ihm zu sehen, und dann rief sie gleich um Hilfe. Sie hatte nicht genug Zeit, ihn niederzuschlagen und die Beute zu verstecken. Es mag sein, daß sie den Schatz später aus dem Brunnen geholt hat, aber sie hat ihn gewiß nicht dort versteckt. Wollt Ihr damit sagen, daß zwei Personen an dieser Tat beteiligt waren?«
»Ja, es brauchte zwei, um sie auszuführen: Einer mußte zuschlagen, das Gold an sich nehmen und es verstecken, und der andere mußte die Beute bei Nacht holen und an einen sichereren Ort bringen. Einer hat den Erpresser umgebracht, kaum daß er seine Forderungen gestellt hatte, und der andere mußte die Leiche im Schutz der Dunkelheit beseitigen. Ja, es müssen zwei gewesen sein.«
»Wer ist dann der zweite? Ich halte es für möglich, daß sich Bruder und Schwester, die ja immerhin unter ihren geizigen Verwandten zu leiden hatten, verschworen haben, sich das zu nehmen, was ihnen vorenthalten wurde, und wir wissen auch, daß Daniel in jener Nacht heimlich das Haus verlassen hat.
Seine dünne Geschichte von der verheirateten Frau, die er besucht hat, mag zwar glaubwürdig klingen, aber trotzdem habe ich ihn immer noch im Verdacht. Auch oberflächliche Männer können lernen zu lügen.«
»Ich habe Daniel nicht vergessen. Aber Ihr könnt ihn von der Liste der Verdächtigen streichen, denn ihr Bruder wußte wahrscheinlich am allerwenigsten von Susannas Plänen.«
Blitzartig fielen Cadfael kleine, unscheinbare, bis dahin unbemerkt gebliebene Dinge ein: Rannilt, wie sie die Worte, die sie gehört hatte, wiederholte, Julianas unwahrscheinliches Lob für die ausgezeichnete Vorratswirtschaft ihrer Enkelin, deren Topf mit Hafergrütze selbst nach Ostern noch halb gefüllt war, und Susannas bittere Frage: »Wo willst du mich nun unterbringen? In einem Nonnenkloster vielleicht?« Und dann hatte die alte Frau aufgeschrien und war die Treppe hinuntergestürzt…
Nein! Er sah jetzt, daß da mehr dahinter gesteckt hatte. Die alte Frau auf der Treppe, die Lampe in ihrer Hand, deren Licht von oben auf Susanna fiel und jede Rundung ihres Körpers hervortreten ließ… Ja! Sie sah Susanna, schrie auf und griff an ihre Brust, und dann entglitt die Lampe ihrer Hand und fiel die Treppe hinunter. Irgendwie hatte sie etwas geahnt und war in der Nacht aus ihrem Zimmer gekommen, um ihre einzige Gegnerin, die einzige, die ihr die Stirn bieten konnte, zur Rede zu stellen. Auch sie mußte den zerrissenen Rock, den ausgebleichten Saum bemerkt und ihre Schlüsse daraus gezogen haben. Und hatte sie nicht gesagt, sie habe noch immer eine Verwendung für den geheimgehaltenen zweiten Schlüsselbund? Ja, und ihre letzten Worte waren gewesen:
»Und trotzdem hätte ich so gern noch meinen Urenkel gesehen…« Jetzt verstand er diese Worte besser als damals, als Juliana sie gesprochen hatte.
»Nein, jetzt verstehe ich alles! Nichts hätte sie noch aufhalten können. Der Mann, der ihr bei dem Raub geholfen hat, war kein
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