Zuflucht im Teehaus
Zen-Meditation Probleme, sich zu konzentrieren, das ist mir aufgefallen.« Wajin griff unter meinen Armen durch und hievte mich aus dem Wagen. »Auf dem Sitz sind ja Blutflecken!«
»Ja, ich verliere eine Menge Blut. Mir ist ziemlich übel …« Ich beschloß, ein wenig zu übertreiben, doch er drehte mir nur den Arm hinter den Rücken und nahm keinerlei Rücksicht darauf, daß ich dabei meine Schuhe verloren hatte.
»Passen Sie auf Ihren Kopf auf«, sagte er, als ich mit der Stirn gegen etwas Hartes stieß. Wir gingen also in eine Höhle; dafür sprach auch die feuchte Luft.
»Setzen Sie sich.« Wajin ließ meinen Arm los, und ich lehnte mich gegen die feuchte Höhlenwand und glitt daran herunter auf den steinigen Boden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß wir sehr weit im Innern waren, weil ich vom Eingang der Höhle genau zweiundfünfzig Schritte gezählt hatte. Ohne die Augenbinde fand ich vielleicht den Eingang wieder.
Wajin ließ mich allein, um Mr. Ishida zu holen. Ich lauschte auf das Echo seiner sich entfernenden Schritte.
Dann nahm ich ein leises, tropfendes Geräusch wahr. Der Schmerz in meinen gefesselten Händen wich irgendwann einer Taubheit. Warum hatte Wajin Mr. Ishida nicht gebracht? Was ging vor der Höhle vor sich?
Wajin kam erst nach einer ganzen Weile wieder. Diesmal atmete er schwer. Ich lauschte auf ein zweites Paar Schritte, hörte aber nichts.
»Ishida-san?« rief ich. Als ich keine Antwort bekam, flüsterte ich: »Wo ist er?«
Wajin ging neben mir in die Hocke, und ich roch den Duft der Räucherstäbchen, der in seiner Robe hing. Er lachte leise. »Der alte Mann ist im Jenseits. Und wenn Sie nicht aufpassen, befördere ich Sie auch dorthin.«
25
»Sie haben ihn umgebracht?« Ich wünsche mir, ich hätte Mr. Ishida im Wagen noch gesagt, daß ich ihn gern hatte und es mir nie verzeihen würde, mit ihm nach Horin-ji gefahren zu sein.
»Ja. Der alte Mann hat mir nichts mehr genützt. Anders als Sie.«
Ich hörte, daß ein Wagen den Hügel heraufkam, und sagte: »Das ist wahrscheinlich die Polizei. Ich habe den Beamten eine Nachricht hinterlassen, wohin wir fahren wollten.«
»Sie lügen. Sie haben sich nicht mit der Polizei in Verbindung gesetzt. Schließlich sollte niemand erfahren, daß Sie unsere Schriftrolle gestohlen haben.«
»Ich hatte keinerlei Interesse an der Schriftrolle. Ich wußte bis vor einem Tag noch nicht einmal etwas von ihrer Existenz …«
»Warum geben Sie sie mir dann nicht? Das würde doch alles viel einfacher machen.«
»Sie haben meinen Freund Mr. Ishida umgebracht. Wenn ich Ihnen sage, wo die Schriftrolle ist, machen Sie es mit mir genauso.« Ich sprach laut und deutlich, um Leute, die sich möglicherweise vor der Höhle aufhielten, auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die drinnen lauerte. Wenn sich ein Tourist hier herauf verirrt hatte, machte er vielleicht kehrt und lief den Hügel wieder hinunter, um Hilfe zu holen.
»Machen Sie sich Gedanken darüber, wie Sie gern sterben möchten, Rei. Schnell oder langsam. Mit oder ohne Schmerzen.« Wajin machte ein raschelndes Geräusch, und als er wieder etwas sagte, klang er weiter weg. »Ich muß Sie jetzt eine Weile allein lassen, weil mich die Pflicht ruft. Aber Sie müssen sich nicht ängstigen, Sie sind nicht allein. Jemand, den Sie kennen, wird auf Sie aufpassen.«
Ich hörte Schritte; sie näherten sich langsam und gaben mir das Gefühl, daß der Betreffende sich nicht in der Höhle auskannte.
»Wir sind hier«, rief Wajin.
Ich hörte ein Stolpern und eine Männerstimme, die einen japanischen Fluch ausstieß. Schließlich blieb der Näherkommende nicht weit von mir entfernt stehen. Die Dunkelheit vor meinen Augen war nicht mehr ganz so undurchdringlich wie zuvor, also nahm ich an, daß der Mann eine Taschenlampe dabei hatte.
»Sie lebt noch?« Jun Kuroi. Ich erkannte seine Stimme.
»Ich hab sie dir aufgehoben.« Wajin lachte. »Ich weiß ja, wie gut ihr beide befreundet seid, und da habe ich mir gedacht, vielleicht kannst du sie dazu bringen, uns zu sagen, wo die Schriftrolle ist. Sobald du es weißt, rufst du mich an, und ich hole sie. Vergeude keine Zeit. Ich erwarte, daß die Angelegenheit bis zum Sonnenuntergang erledigt ist.«
»Ja«, sagte Jun.
»Das ist das Ende, Rei. Ich sage lieber nicht sayonara zu Ihnen, weil ich nicht erwarte, Sie lebend wiederzusehen.« Wajin versetzte mir einen Tritt in die Hüfte, bevor er ging.
Jun sagte erst etwas zu mir, als wir hörten, daß der Wagen vor
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