Zuflucht im Teehaus
seine Mutter reden hören.
»Glauben Sie ja nicht, daß ich mir die dämliche tansu gewünscht habe. Um ehrlich zu sein, bin ich ganz froh darüber, daß Sie das Ding nicht gekriegt haben. Das gibt mir noch ein bißchen Zeit. Ich hasse es nämlich, mein Zimmer aufzuräumen.« Akemi marschierte einen Kiesweg entlang, der vom Haus weg und in den Wald führte. Ich hastete ihr nach und wollte ihr gerade erklären, was sich zwischen ihrer Mutter und mir abgespielt hatte, doch sie winkte ab.
»Reden wir nicht über Antiquitäten! Ich kann das Wort nicht mehr hören. Sagen Sie mir doch lieber, was Sie von dem Weg hier halten. Haben Sie so etwas auch in Ihrem Land?«
Verwirrt suchte ich nach Worten. »Amerikaner joggen eher auf weichem Boden oder gleich auf der Straße. Das hier ist etwas ganz anderes.«
»Besser, was?«
»Nun, jedenfalls ist es natürlicher. Die Leute hier in der Gegend finden’s wahrscheinlich toll, oder?«
»Was meinen Sie mit ›die Leute hier in der Gegend‹?« Akemi sah mich mit merkwürdigem Gesichtsausdruck an.
»Nun, den Leuten macht es doch sicher Spaß, hier zu laufen oder spazierenzugehen.«
Akemi sog deutlich hörbar die Luft ein. »Hier auf meinem Pfad läuft niemand außer mir! Er ist eigens für mich angelegt worden, damit ich ungestört joggen kann.«
Ich mußte kurz an den Laufpfad denken, den der Präsident der Vereinigten Staaten rund ums Weiße Haus hatte anlegen lassen und den seine Mitarbeiter benutzen konnten, wann immer sie wollten. Doch das erwähnte ich lieber nicht. Statt dessen fragte ich nach der Länge des Pfades.
»Ach, nur zwei Kilometer. Ich wollte ihn nicht länger, damit ich immer im Wald laufen kann und nie direkt an den Tempelgebäuden vorbeikomme.«
Ein kleiner Teufel ritt mich, als ich sagte: » Ich würde gern am Tempel vorbeilaufen, um zu sehen, was sich dort tut, und um zu hören, wie die Mönche ihre Trommeln schlagen …«
»Das liegt daran, daß Sie aus dem Ausland kommen und Japan mögen. Ich höre mir lieber Simply Red an. Sie sollten mal mit mir joggen. Ich würde Ihnen zuliebe auch ein bißchen langsamer laufen«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.
»So langsam könnten Sie gar nicht laufen!«
»Sie haben längere Beine als ich. Darüber sollten Sie eigentlich glücklich sein. Welchen Sport haben Sie in der High-School gemacht?« Akemi betrachtete mich mit einem Blick, der mich erröten ließ.
»Wie gesagt: Ich bin eine ziemliche Flasche, was Sport angeht. Ich bin ein bißchen geschwommen, aber immer mit dem Kopf über Wasser. Ich kann’s nicht leiden, wenn ich nicht richtig atmen kann.«
»Laufen ist sehr gut für die Ausdauer. Ich sehe schon, daß Sie ein Problem mit der Kondition haben. Sie haben ganz schön gekeucht, als Sie eben versucht haben, mich einzuholen. Sie müssen ganz langsam anfangen. Laufen Sie, bis Sie nicht mehr können, gehen Sie ein Stück, und wenn Sie wieder ein bißchen bei Atem sind, laufen Sie weiter. Das ist ganz einfach.«
Dieser schöne, versteckte Laufpfad in Kamakura wirkte ungemein beruhigend. Hier würde mich niemand sehen, wenn ich nach Luft schnappend stehenblieb. Niemand außer Akemi Mihori, der früheren japanischen Judomeisterin.
»Es fällt mir schwer, Leute kennenzulernen«, sagte Akemi und stieß mit dem Schuh einen Stein weg. »Die japanischen Frauen in meinem Alter haben sich alle schon an den Meistbietenden verkauft und versorgen zu Hause ihre Babys. Die einzigen Menschen, mit denen ich es zu tun habe, sind Leute wie mein Trainer, mit dem Sie mich heute nachmittag in der Turnhalle gesehen haben.«
Vermutlich war sie ziemlich einsam, wenn sie sich mir so öffnete. Vorsichtig erkundigte ich mich, ob sie am Samstag abend schon etwas vorhabe.
»Nein, warum?« Sie klang verblüfft.
»Da gebe ich ein Fest. Ich habe Ihrer Mutter eine Einladung geschickt, aber wahrscheinlich wird sie nach dem, was passiert ist, nicht kommen. Doch für Sie könnte es interessant sein.« Ich wollte noch sagen: Vielleicht lernen Sie dort jemanden kennen ,verkniff es mir dann aber.
»Ich bin keine große Partygängerin.«
»Es ist keine typische japanische Party; es werden jede Menge Ausländer da sein. Sind Sie schon mal auf einem Fest mit Ausländern gewesen?« Hugh würde seinen Charme spielen lassen, auch wenn sie ihn höchstwahrscheinlich als einen Meistbietenden der übelsten Sorte betrachtete. Aber ich erwartete ja auch noch andere Gäste.
»Ich bin Vegetarierin! Ich kann die Sachen aus dem Westen nicht
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