Zuflucht im Teehaus
Polizei zu retten, und jetzt wurde er auch noch unverschämt. Mit vor Wut bebender Stimme sagte ich: »Wenn du sie wiederhaben willst, mußt du der Polizei die gleichen Lügen erzählen wie mir.«
Die Tür schlug zu, und Hugh trat ein.
»Was für Lügen?« Er durchbohrte mich, nicht Angus, mit Blicken.
»Dein Bruder hat mir gerade eine lächerliche Ausrede dafür geliefert, daß er eine ganze Tüte voll illegaler Telefonkarten besitzt. Lieutenant Hata vermutet, daß die Einbrecher sie in der Wohnung verloren haben, aber wenn er wüßte, daß der Verbrecher hier in diesem Apartment wohnt …«
»Entschuldige dich bei meinem Bruder, Rei. Er ist kein Lügner, und du bist völlig aus der Fassung.«
Ich gab mir alle Mühe, mich zu beruhigen. »Ich wollte ihn warnen, weil die Polizei sich noch einmal die Wohnung ansehen möchte.«
»Du lieber Himmel. Warum denn?«
»Keine Ahnung, aber Lieutenant Hata wird dich wahrscheinlich deswegen anrufen. Und außerdem brauche ich die Gästeliste, die du im Computer gespeichert hast. Meinst du, er wird alle Gäste fragen, ob sie zufällig ein paar Telefonkarten hier verloren haben? Mr. Sendai zum Beispiel?«
Als das Telefon klingelte, stöhnte Hugh auf. »Ich hätte das verdammte Ding nicht reparieren lassen sollen.«
»Es könnte für mich sein«, mischte Angus sich ein und rannte zum Apparat. Kurz darauf kicherte er in den Hörer.
»Warum besorgst du ihm nicht einfach einen Piepser?« fragte ich. »So ein Ding haben alle Drogenhändler.«
Hugh packte mich am Ellbogen und schob mich in die Küche. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Du sollst meinen Bruder in Frieden lassen! Du bist so halsstarrig und streitsüchtig geworden – überhaupt nicht mehr so, wie ich dich vor sechs Monaten kennengelernt habe.«
Hugh ließ mich so abrupt los, daß ich mich an der Arbeitsfläche festhalten mußte, um nicht hinzufallen.
»Rei, ich habe das Gefühl, daß wir uns eine Weile trennen sollten, damit wir wieder richtig denken können.«
»Blut ist also doch dicker als Wasser, stimmt’s?« sagte ich und starrte das Schneidebrett voller Brotkrümel an. Ich würde ihm nicht den Gefallen tun zusammenzubrechen.
»Mein Bruder hat nichts und niemanden. Im Augenblick braucht er mich dringender als du.«
»Ich verschwinde von hier, so schnell ich kann.«
»Du kannst gern hierbleiben …«
»Vergiß es! Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie demütigend es für mich ist, daß ich dich aus deiner eigenen Wohnung vertrieben habe?«
»Nun mach mal halblang! Schließlich will ich nur einen kurzen Urlaub machen!«
»Einen Urlaub von mir. Ich wünsch dir viel Spaß dabei!« rief ich, rannte aus dem Raum und knallte die Tür hinter mir zu. Vor Tränen konnte ich kaum etwas sehen, aber ich nahm wahr, daß Angus zur Seite sprang, als ich ins Schlafzimmer lief, um Kleidung und mein Adreßbuch in einen Matchbeutel zu stopfen. Wenn ich meine Würde bewahren wollte, mußte ich die Wohnung schnell verlassen, aber ich durfte auch nicht vergessen, daß mein Geschäft weiterlaufen mußte. Und genau da lag das Problem: Wenn ich nicht mehr hier wohnte, konnten meine Kunden mich nicht erreichen.
Ohne auf Hugh zu achten, der gegen die Tür hämmerte, schnappte ich mir sein neues Handy und die Bedienungsanleitung und öffnete die Schiebetür zum Balkon. Der Boden lag vierzehn Stockwerke unter mir, doch zu Mrs. Itos Wohnung war es nur ungefähr ein Meter. Meine Nachbarin war nicht auf dem Balkon, und die Glastüren zu ihrer Wohnung standen offen – die perfekte Voraussetzung für einen diskreten Abgang. An Hugh wollte ich nicht vorbei, am allerwenigsten, wenn die Gefahr bestand, daß sein Handy plötzlich zu klingeln anfing.
Würde ich das schaffen? Ich warf den Matchbeutel auf den Nachbarbalkon und überlegte. Ich war zu feige, um auf die Betonbrüstung des Balkons zu klettern, aber wenn ich mich auf die Kante setzte und hinüberschwang …
Die Tatsache, daß Hugh gegen die Tür hämmerte, machte mich noch nervöser. Ich setzte mich auf den Rand des Balkons und trommelte mit den Füßen gegen das Geländer. Nach einem Blick auf die Menschen weit unter mir wurde mir schlecht vor Höhenangst. Ich hob den Blick zum Himmel und tat so, als spreche mir Akemi Mihori Mut zu: Sie schaffen das .
An der Außenseite der Brüstung befand sich ein knapp zehn Zentimeter breiter Vorsprung, gerade breit genug, daß ich mich auf den Zehenspitzen daraufstellen konnte. Von dort aus würde ich auf den
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