Zuflucht im Teehaus
Ein älterer Mann, der Postkarten verkaufte, rief ihr etwas zu, zwei Frauen in einem Geschäft für Räucherstäbchen winkten, und ein junger Mann, der Reiscräcker röstete, bot ihr einen gratis an. Für jemanden, der behauptete, keine Freunde zu haben, kannte sie eine ganze Menge Leute.
»Macht es Ihnen denn nichts aus, wenn die Leute Sie mit mir sehen? Die kennen doch bestimmt Ihre Mutter und werden ihr erzählen, daß sie uns zusammen gesehen haben.«
»Niemand hier spricht mit meiner Mutter«, erklärte Akemi. »Sie sagen, meine Mutter will den Untergang von Kamakura.«
»Aber wieso denn das? Sie leitet doch die Green and Pristine Society.«
»Das ist genau das Problem. Sie kann nicht mit ansehen, was mit der Stadt passiert. Jeder Quadratmeter Grund wird bebaut, und jetzt sind die Grundstückshaie auch noch scharf auf die Hügel. Sie reißen sogar die alten Höhlen und Begräbnisstätten ein. Mein Vater hat mit dem Gedanken gespielt, einen Teil unseres Grundbesitzes in den Hügeln zu verkaufen, aber meine Mutter hat ihn daran gehindert. Das Land ist heilig; es darf nicht verkauft werden.«
Bekehrte sind immer die größten Fanatiker. Schließlich machte auch ich mir mehr aus der traditionellen japanischen Kunst als meine in Yokohama geborenen Verwandten. Es klang fast so, als sei das bei Nana, die in eine alte Familie aus Kamakura eingeheiratet hatte, in bezug auf das Land ganz ähnlich. Das machte sie mir ein bißchen sympathischer.
»Sie hat alle Familien, denen Grund in den Hügeln gehört, gedrängt, nicht zu verkaufen«, fuhr Akemi fort. »Das hat natürlich nur bewirkt, daß die Preise in die Höhe gehen. Wenn sich also jemand breitschlagen läßt, verdient er eine Menge Geld.«
»Wieso werfen Sie ihr vor, daß sie die Gegend hier bewahren will?«
»Nun, sie und die anderen Millionäre in Kamakura können es sich leisten, hehre Ideale zu haben, nicht wahr? Das sagen jedenfalls die Leute in der Stadt. Aber die eigentliche Auseinandersetzung hat letzten Herbst begonnen, als sie vorgeschlagen hat, alle Privatautos aus der Stadt zu verbannen.«
»Für Touristen kann ich das Verbot ja verstehen, aber für die Einheimischen?« Ich war erstaunt.
Akemi nickte. »Sie stellt sich das so vor, daß nur öffentliche Verkehrsmittel und Minibusse fahren dürfen. Ihrer Meinung nach lassen sich so die Staus vermeiden, und der Charakter von Kamakura bleibt erhalten. Natürlich haben die Geschäftsleute sich beklagt, daß dann keine Kunden mehr kommen, und die Einwohner, die mit dem Auto in die Arbeit fahren, haben sich auch aufgeregt, das kann man sich denken. Der Antrag ist nach ein paar Wochen abgelehnt worden, aber die Leute haben ihren Einfall nie vergessen. Moment, da wären wir.«
Ich hatte das Zen Café, das wegen seiner makrobiotischen Speisen in war, schon einmal besucht. Man hatte mich seinerzeit höflich, aber auch ein wenig distanziert bedient. Um so erfreulicher war es, zusammen mit Akemi von allen freundlich begrüßt zu werden. Der alte Mann, der in der offenen Küche Töpfe spülte, kam sogar heraus und kniff ihr zum Scherz in die Wange. Obwohl es fürs Abendessen noch ziemlich früh war, schienen bereits alle Tische besetzt zu sein. Wir mußten uns mit einem Platz unter einem winzigen Lautsprecher zufriedengeben, aus dem die neuesten Songs von Akiko Yano klangen. Eigentlich hätte ich mich ein bißchen entspannen müssen, aber die Geschichte, die Akemi mir über ihre Mutter erzählt hatte, beunruhigte mich.
»Sake?« Akemi schenkte mir etwas ein, ohne meine Antwort abzuwarten.
»Ich habe gestern zwei hibachi verkauft und werde die Hälfte der Rechnung bezahlen«, sagte ich, bevor sie weiter die höfliche Gastgeberin spielen konnte.
»Probieren Sie lieber zuerst das Essen. Nicht-Japaner haben oft Schwierigkeiten mit der Zen-Küche.«
»Ich bin Vegetarierin genau wie Sie«, erinnerte ich sie.
»Sie werden in dem Teehaus nicht kochen und sich nicht waschen können, und Sie werden auch keine Toilette haben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Mensch dort leben kann.«
Die Idee, dort unterzukriechen, hatte ich bei meinem Telefonat mit Akemi gehabt. Das baufällige Teehaus lag so tief in den Wäldern des Tempelgeländes, daß so gut wie niemand von seiner Existenz wußte. Es war der ideale Aufenthaltsort für mich, während ich mich nach einer dauerhafteren Bleibe umsah.
»Ich werde die öffentliche Toilette neben der Haupthalle des Tempels benutzen, und Wasser kann ich mir vom
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